Schwere, chronifizierte Anorexie (SE- AN) und Möglichkeiten der Behandlung

  Essstörungen haben einige gemeinsame Charakteristika:
  • Sie sind bio- psycho- sozialen Ursprungs.
  • Sie sind äußerlich oft unsichtbar.
  • Man erkennt sie primär am Verhalten.
  • Sie sind keine Erkrankungen des Gewichtes, sondern u.a. des Energiedefizites.
  • Sie sind ein Kontinuum: Sie können von Anorexie zu Bulimie zu Binge-Eating und zurück wechseln.
  • Restriktionen, also Einschränkungen von insbesondere Nahrungsmengen und Nahrungsmitteln, und vor allem entsprechende begrenzende mentale Regeln sind deren gemeinsamer Nenner. (Restriktion ist primär ein Geisteszustand/Gedankenzustand, dem Aktionen folgen.)
Und:
  • Sie neigen zur Chronifizierung.
Über den Zeitraum, wann eine Essstörung als chronisch bezeichnet wird, streiten sich die Fachleute. Je nach Altersgruppe ist es realistisch, von ca. 3 Jahren bei Kindern und Jugendlichen und ca. 7 Jahren bei über 18- jährigen auszugehen. Die Forschung zeigt, dass bei ca. 20-25 % der an Anorexia nervosa erkrankten Patienten trotz mehrfacher Behandlungsversuche Symptome zurückbleiben. Diese Betroffenen chronifizieren in unterschiedlichen Schweregraden. Bleiben nur wenige Verhaltensweisen zurück, die Gesundheit und Alltag nicht wesentlich einschränken, nennen wir das umgangssprachlich quasi recovered, also nicht mehr bedrohlich krank aber auch nicht gesund. Fachsprachlich heißt das „teilweise Remission“. Das Gewicht kann in diesem Zustand durchaus innerhalb der unauffälligen Norm liegen.   Ist die Anorexie jedoch trotz vielfacher therapeutischer Interventionen noch so ausgeprägt, dass dies langandauernde körperliche, psychische und soziale Beeinträchtigungen zur Folge hat, und damit mit einer entsprechend verminderten Lebensqualität-/ und Zeit einhergeht/einhergehen kann, und ist das Gewicht gesundheitsgefährdend niedrig, sprechen wir von „schwerer und anhaltender Anorexia nervosa (SE-AN)“. SE = Severe and Enduring. An dieser Stelle ist anzumerken, dass nur die Patienten in die Zählungen eingehen, die in sich in Behandlung befinden oder befunden haben. Diejenigen, die entweder freiwillig oder aus versicherungstechnischen/anderen Gründen nie eine Therapie in Anspruch genommen haben, sind nicht erfasst. Die Dunkelziffer der chronifizierten AN ist mit Sicherheit wesentlich höher als angenommen.   Patienten, die wir als quasi geheilt/in teilweiser Remission bezeichnen, haben oft entgegen der Meinung von Eltern oder Ärzten/Therapeuten, lange keinen Leidensdruck durch die AN selbst. Die Krankheit hat für diese Gruppe Betroffener noch eine sehr starke Funktion, eine hohe kompensatorische (Coping) Wirkung. Das, was sie von der AN direkt (Stressreduktion) oder indirekt (Validierung durch Freunde, Gesellschaft etc.) bekommen, ist größer als der Wunsch danach, ohne AN zu leben. Sie sehen schlichtweg keinen Vorteil darin, zu heilen. Genervt sind sie allenfalls vom Druck des Umfeldes, vom gefühlten oder tatsächlichen Unverständnis anderer, warum sie sich dafür entscheiden, in diesem Zustand leben zu wollen. Man kann tatsächlich, nicht zuletzt „dank“ unseres gesellschaftlichen Idealbildes, lange relativ ok und unauffällig so leben, meist bis ein Ereignis eintritt, das aufgrund mangelhaft erlernter, gesunder Bewältigungsmechanismen nur die akute AN als Ausweg lässt.   Oft führt also dann ein massiver Rückfall entweder zu der Erkenntnis, dass Heilung doch eine Option wäre, oder das Rezidiv mündet in eine chronifizierte Anorexie. „Drehtürpsychiatrie“ ist das, was dann folgt: Rein in die Klinik, raus aus der Klinik, ein Therapeut gibt dem anderen die Klinke in die Hand, ein Arzt überweist an den nächsten. Helfen tut das alles: Nichts. Im Gegenteil. Mit jedem vergeblichen Therapieversuch wird die Anorexie stärker. Das liegt zum einen daran, dass diese Patienten das Gefühl haben/vermittelt bekommen, versagt zu haben, eine Belastung und chancenlos zu sein. Was nicht gerade Mut macht. Zum anderen hat diese Krankheit eine ganz besondere Unart: Wenn sie gewinnt, wird sie stärker. Jeder Therapieabbruch ist ein Sieg der AN. „Du hast es nicht drauf.“ „Du bist nichts wert.“ „Du bist eine Versagerin.“ „Du hast nichts mehr, außer mich, die AN.“ Das ist das, was die Stimme der AN dann sagt. Mit jedem zusätzlichen Energiedefizit in Gehirn und Körper wird der Kampfgeist leiser und die AN lauter. Mit jedem Rückfall und jeder Wiederholung anorektischer Verhaltensweisen (=reinforcement) werden die entsprechenden neuronalen Bahnen dicker.   Es ist die (vielfache) Erfahrung, gegen die Angst vor Essen und Gewicht nicht gewinnen zu können (AN reinforcement). Es ist die konstante Wiederholung anorektischer, angstvermeidender Muster (permanent repetition), die zur Ausbildung anorektischer Gewohnheiten führt. Es sind die aus vielen Gründen (Funktionen) über Jahre und Jahrzehnte x-mal täglich praktizierten, vermeidenden Aktionen, die eine AN zu einer schweren und langanhaltenden AN werden lassen. Weil all das dazu führt, dass man irgendwann nicht mehr anders kann, als AN. Selbst dann nicht, wenn man will. Die AN wird physisch, mental und psychologisch zum Autopiloten.   Da hilft kein zum Essen zwingen, kein Forced Feeding, weil die erlernte und biologisch untermalte „Tendenz zu zu wenig“ alles sofort wieder zunichtemacht, direkt, ohne Umwege und automatisch. Oder spätestens dann, wenn einem die Kraft ausgeht, immer bewusst und genug zu essen. Diese Patienten kommen wiederernährt aus der Klinik, bestenfalls sogar wiederernährt im höheren Bereich (dort, wo dieser Ansatz praktiziert wird, z.B. in den USA), und kurze Zeit später haben sie alles an Gewicht wieder verloren, oft noch mehr. Nicht, weil sie dünn sein wollen, diese Erklärung ist trotz der Angst vor Gewichtszunahme schlichtweg am Thema vorbei. Auch nicht, weil sie stur sind, oder nichts gelernt haben in den Therapien. Nein. Ihre anorektischen Automatismen übernehmen ohne Steuerung und Führung von außen vollautomatisch die Kontrolle über ihr Verhalten. Wenn der Teller nicht gefüllt vor ihnen steht und jemand dafür sorgt, dass sie (genug) essen, dann passiert das nicht. Auch dann nicht, wenn sie es wollen. Sie können nicht. Das Gehirn hat gelernt, es zu verhindern. Auch der Körper sucht physiologisch nach vielen Jahren im niedrigen Gewicht vermutlich die Homöostase nach unten. Darüber wissen wir noch viel zu wenig. Diese fatalen Phänomena machen diese Krankheit zur zweit-tödlichsten unter den mentalen Erkrankungen. (Die tödlichste ist Betäubungsmittelabhängigkeit).   Wie kann man sich das als Gesunder vorstellen? Versucht mal, Autofahren oder Fahrradfahren zu verlernen. Bewusst. Nehmt es Euch vor. Ihr wollt das nicht mehr können. Funktioniert das? Nein. Ihr könnt Euch entscheiden, nicht zu fahren. Das ja. Aber selbst wenn Ihr nach 10 Jahren wieder ins Auto steigt, könnt Ihr es immer noch. Weil Euer Hirn nach Jahren der Praxis die Abläufe abgespeichert hat und sofort wieder darauf zurückgreift. Automatisierte Abläufe kann man sein lassen, wenn man sie nicht lebensnotwendig braucht, aber man kann sie nicht mehr verlernen!   Und jetzt versucht mal, etwas zu tun, das Ihr aus ANGST jahrelang/jahrzehntelang so gekonnt vermieden habt, dass es wie Fahrradfahren ist. Ihr müsst nicht mehr nachdenken, ihr vermeidet es, weil Euer Hirn Euch ganz von allein davon abhält. Umso mehr von allein, weil das Vermeidungsverhalten von einer der stärksten Emotionen überhaupt getriggert wurde: Angst. Unser Hirn hat die primäre Aufgabe, uns vor Gefahr zu schützen, und die Emotion, die es als Signal dafür nutzt, ist Angst!   Bei AN ist dieses Tun fatalerweise lebensnotwendig: Essen. Und die Angst ist die vor der Gewichtszunahme.   Genau diese Angst wird in der gewollten oder ungewollten Recovery mit jedem Kilo Gewichtszunahme bestätigt. Das ist die gefährlichste aller Besonderheiten der AN. Um zu heilen, muss man tun, was das Gehirn um jeden Preis zu vermeiden versucht. Und weil unser Gehirn durch die Beobachtung unseres Verhaltens UND unseres Denkens lernt, wird es mit jedem Vermeiden und jedem bestrafenden Gedanken erneut bestätigt, dass die Angst valide ist, dass es richtig ist, nicht zu essen, nicht zu trinken, nicht unter Leute zu gehen. Bei jedem Versuch zu heilen, werden alle Ängste der AN wahr. Kommt man über diese Angstphase und über diese gemeinen anorektischen Abwertungen aus welchem Grund auch immer nicht drüber, wirkt Exposition nicht oder wird sie nicht (korrekt) gemacht, ist der Teufelskreis geschlossen. Konstanter Vermeidungszirkel, Trauma, Komorbiditäten, plus unbekannte Faktoren und vor allem Therapieversagen sind das Rezept für eine schwere, chronifizierte Anorexie, SE- AN.   Es ist nicht die Schuld der Patienten, wenn sie es nicht schaffen, diese schwere Krankheit zu besiegen. Therapieversagen, d.h. unzureichende Therapiemethoden und mangelnde Bereitschaft der Fachleute, sich auf neue Erkenntnisse einzulassen, sind das größte Problem. Wäre hier mehr Offenheit, könnten wir einige Leben mehr retten. Einige, aber leider nicht alle. Denn neben all dem, sind wir tatsächlich zwar inzwischen weiter in unseren Kenntnissen über Anorexie, aber noch nicht so fortgeschritten, dass wir z.B. mit Sicherheit sagen können, was genau die biologischen, auslösenden Faktoren sind, welche Mechanismen bei denjenigen „anspringen“, die diese Erkrankung bekommen im Vergleich mit denen, die sie unter denselben Bedingungen nicht bekommen. Wir wissen, was sich bei Mangelernährung bei AN in welchen Bereichen im Gehirn verändert und welche Auswirkungen das hat. Wir wissen, dass das Darm-Mikrobiom eine Rolle spielt, dass der Stoffwechsel anders funktioniert, auch der Insulinstoffwechsel und manches andere, aber die Details fehlen. Wir haben viele Kenntnisse über das Was, aber noch zu wenige über das Wie und das Warum. Und genau die bräuchten wir für eine medikamentöse Therapie genauso wie für eine individualisierte Psychotherapie. Solange wir hier nicht vorwärtskommen, sind wir auf Therapiemethoden angewiesen, die mehr oder weniger up-to-date sind. Wer „Glück“ hat und in einem Land erkrankt, in dem State of the Art Therapie nach neusten Erkenntnissen angeboten werden (FBT, blind Wiegen, Wiederernährung in den höheren Bereich wenn nötig, Wissen um AN in höherem Gewicht, Exposition, Extinktion, ACT, Mindfulness, Temperament Based Treatment, u.ä.), hat bessere Chancen als in Ländern, die immer noch nach altherkömmlichen Denkmustern und deren Modellen behandeln. Die besten Chancen, eine Chronifizierung zu verhindern, hätte man mit Prävention. Doch ohne genaue Erkenntnisse und in einer diät- und fitnessverrückten Gesellschaft ist das eine fast unlösbare Aufgabe. Im Grunde wirkt Prävention nur bei denjenigen wirklich, die eine Anorexie in der Familienanamnese haben. Diejenigen können aufklären und bestimmte Regeln etablieren, damit diese Erkrankung bei ihren Kindern nicht ausbricht. Ist es dennoch passiert, hat die AN sich eingenistet, ist die Devise: Währet den Anfängen. Wer sofort handelt, wer innerhalb der ersten Wochen bis max. dem ersten Jahr alle anorektischen Rituale unterbindet und wiederernährt bevor das Gehirn die Chance hat, im Mangelzustand und durch permanente Wiederholung anorektisches Verhalten zu verfestigen, der bekommt relativ schnell ein gesundes Kind/einen gesunden Menschen zurück.   Bitte bei entsprechendem Essverhalten immer lieber eine Anorexie vermuten und alles tun, um eine Verfestigung zu verhindern, als abwarten, ob wirklich eine Essstörung daraus wird!! Niemals davon ausgehen, dass das doch nur eine Phase ist, schon gar nicht in der Pubertät, die übrigens heutzutage schon zwischen 9 und 11 Jahren beginnen kann!   Therapeutische Möglichkeiten für Menschen mit schwerer, chronifizierter Anorexie:   Wir sehen innerhalb dieses Personenkreises zwei Untergruppen:   Patienten, die irgendwann jegliche weitere Behandlung ablehnen: Diese Patienten haben vergeblich alles versucht, um die Krankheit zu besiegen oder zumindest unter Kontrolle zu bekommen. Sie haben nach Jahren der Qual die bewusste Entscheidung getroffen, nicht mehr zu kämpfen und keine weiteren Behandlungen zuzulassen. Dr. Gaudiani hat vor einiger Zeit einen Artikel geschrieben über diese letzte, meist tödliche Phase der Anorexie, in Zusammenhang mit der Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe, die in Deutschland nicht zulässig ist. Hierzulande verschwinden Patienten, die sich jeglicher Therapieoptionen entziehen, in der Regel aus den Augen der Ärzte und Therapeuten, und somit auch aus den Möglichkeiten der Nachverfolgung. Was aus ihnen wird, bleibt meist im Kreise ihrer engsten Angehörigen.   Patienten, die trotz der Schwere ihrer Anorexie mit der Krankheit zu leben gelernt, und noch ein bisschen Hoffnung und Lebenswillen haben:   Diese Patienten halten oft wenigstens sporadisch noch Kontakt zu Ärzten, Mitpatienten, Therapeuten, oder Coaches, mit denen sie gute Erfahrung gemacht haben. Der gesundheitliche und psychische Leidensdruck ist extrem hoch. Sie brauchen ärztliche Unterstützung und Medikamente. Sie sind fast immer isoliert von gleichaltrigen Gesunden, sind nicht in Schule, Beruf oder Studium integriert, sondern langfristig krankgeschrieben, berentet oder leben von familiärer oder öffentlicher Unterstützung. Nach vielen vergeblichen Behandlungsversuchen, gefolgt von demoralisierenden Rückfällen, weigern sie sich vehement, sich diesem frustrierenden Prozedere erneut auszusetzen. Sie sind krankheitsmüde, i.d.R. nicht lebensmüde. Sie haben sich von dem Gedanken an vollständige Genesung verabschiedet, diese Idee ist für sie nicht länger vorstellbar. Sie wissen nicht mehr, wie man (angst)frei leben kann. Die Angst vor Essen und Gewichtszunahme und vor allem, was damit zu tun hat, ist ihr ständiger Begleiter und so unüberwindbar, dass jeder Gedanke in diese Richtung oder jeder Druck von außen, es doch zu versuchen, zu absolutem Widerstand führt. Die Angst vor erneutem Versagen ist größer als das letzte bisschen Hoffnung jemals sein könnte. Doch genau dieses letzte bisschen Hoffnung ist es, was diese Menschen von der ersten Gruppe unterscheidet, die sich komplett aufgegeben haben.   Wie können wir diese kleine Ressource noch nutzen, was können wir diesen Patienten anbieten?   Diese Frage wird häufig leider weniger im Sinne der Patienten beantwortet, als in einem ethischen Spannungsfeld diskutiert. Nicht wenige Kliniken, Therapeuten und auch ambulante Einrichtungen weigern sich, Patienten zu behandeln, die sich nicht auf genesungsorientierte Ziele festlegen. Allein diese Haltung bringt ethische Probleme mit sich, die an unterlassene Hilfeleistung denken lassen. Genauso ist es ethisch fragwürdig, volljährigen Patienten zu unterstellen, nicht in der Lage zu sein, über ihren Zustand Bescheid zu wissen und entsprechende Entscheidungen treffen zu können. Anosognosie, die mangelnde Fähigkeit, den eigenen Zustand zu erkennen und einschätzen zu können, ist bei Anorexie bekannt. Sie betrifft tatsächlich aber die wenigsten Patienten mit chronifizierter Anorexie. Sie haben mehr als ausreichend Erfahrung mit sich selbst, der Erkrankung und dem Gesundheitssystem und wissen entsprechend genau, wo sie stehen. Sie wünschen sich, in ihren Bedürfnissen ernst genommen zu werden. Eine Zwangsbehandlung anzuordnen, gegen den Wunsch und Willen dieser Menschen, ist das Letzte, was ihnen helfen würde.   Einer der ersten alternativen Behandlungsansätze für Patienten mit schwerer, chronifizierter AN wurde im Community Outreach Partnership Programm (COPP) beschrieben, das am St. Paul’s Hospital zusammen mit der University of British Columbia in Vancouver, Kanada, entwickelt wurde. Im Gegensatz zu den auf Genesung ausgerichteten Behandlungsansätzen sind die Ziele des COPP-Programms (das soweit bekannt in Deutschland nicht angeboten wird) folgende:
  • Harm-Reduction: Schadensminimierung vor Symptombekämpfung der AN. Die Patienten werden dazu angeleitet, sich so zu verhalten, dass sie sich nicht mehr als notwendig schaden bzw. ihren gesundheitlichen Zustand durch ihr Verhalten nicht weiter verschlechtern. Sie bekommen diesbezüglich jegliche ärztliche und therapeutische Unterstützung, die sie benötigen, ohne Druck und Vorwürfe.
  • Präferenzen der Patienten hinsichtlich der Behandlungsziele und des Behandlungstempos werden berücksichtigt. Patienten und behandelnde Ärzte und Therapeuten sind auf Augenhöhe. Patienten bestimmen ihre Ziele vorwiegend selbst. Vorwiegend heißt, es werden gemeinsam Sicherheitskriterien festgelegt, wann eingegriffen werden muss, wie und von wem.
  • Sie werden darin unterstützt, ihre Lebensqualität zu verbessern, gemäß den eigenen Vorstellungen davon, was sie unter Lebensqualität verstehen.
  • Patienten werden, wenn möglich, in ihrem eigenen Umfeld behandelt. Klinikaufenthalte werden vermieden oder nur kurzzeitig eingeleitet, wenn nicht vermeidbar und nur mit Einverständnis der Betroffenen.
  • Grundlage des Harm-Reduction Ansatzes ist immer die Hoffnung. Auch Patienten mit schwerer und langjähriger Anorexie haben eine Chance auf wesentliche Besserung, wenn auch realistisch betrachtet nicht 100 %, denn allein körperlich ist „zu viel passiert“. Oft kann das kleine Flämmchen der Lust auf ein gesundes Leben als absolute Voraussetzung für Genesung erst erwachen, wenn ihnen der Druck genommen wird, heilen zu müssen, weil diese Freiheit Optionen öffnet, sich eine Welt ohne AN zumindest vorstellen zu können. Vielleicht versteht das nur, wer selbst von dieser Erkrankung betroffen war.
 

Quellen:

Podcast: Death with dignity Podcast: Episode 16 with Dr. Jennifer Gaudiani Jennifer L Gaudiani, Alyssa Bogetz, Joel Yager: Terminal anorexia nervosa: three cases and proposed clinical characterics Zeitungsartikel (13. Juli 2023) in The Guardian: Some anorexia patients want the right to die. A few doctors are willing to listen Dr. G. “Medical Minute”: Improved Care for Severe and Enduring Eating Disorders