Jeder kennt sie, keiner will sie, und sie bleibt nie allein:

Die Angst

Laut Statista leiden 25 % aller Menschen mindestens einmal in ihrem Leben unter einer derart beeinträchtigenden Form von Angst, dass sie wegen einer Angst- und/oder Panikstörung Hilfe brauchen. Und nicht nur deswegen. Denn Angst hat eine besondere Eigenschaft: Sie bleibt nie allein. Angst ist eine der Emotionen, die wir schwer aushalten können. Wenn sie zu stark wird, bedroht sie uns jede Sekunde. Also tun wir alles, was uns möglich ist, damit sie die Klappe hält:
Dreizehnmal Händewaschen, Haare ausreisen, stundenlang Sport machen, nichts essen oder nur auf eine bestimmte Art und Weise, zu viel essen und es anschließend recyceln, Gras rauchen, Fentanylpflaster kleben, das Haus nicht verlassen, und was uns sonst noch so einfällt. Hauptsache, es hilft. Nur, jetzt hat eine Angststörung Gesellschaft: Zwangsstörungen, Essstörungen, Süchte und Depressionen werden ihre Freunde. Letztere sind manchmal sogar zuerst da.

Angststörungen können generalisiert sein, was man daran merkt, dass man nicht auf eine bestimmte Sache fokussiert ist, die einem den Schweiß auf die Stirne treibt. Es sind die gemeinen, angstvollen Gedanken, das Grübeln über alle möglichen und unmöglichen Horrorszenarien, die garantiert demnächst passieren werden, die lähmen, uns in die Flucht schlagen, dazu führen, dass wir „Ja- Sager“ werden (=people pleasing), oder uns in den Kampfmodus versetzen. Letzteres nennt man dann Meltdown, und der passiert meist zum Leidwesen der Mitmenschen.

Wenn Angst sich auf ein bestimmtes Objekt konzentriert, dann hat man es mit einer Phobie zu tun. Phobischen Objekten sind keine Grenzen gesetzt: Spinnen, Aufzüge, Fussel, Menschenmengen, soziale Situationen oder Essen und Gewicht, alles eignet sich für einen Phobie, und um eine Panikattacke auszulösen.

Panik kann ein Teil einer Angststörung sein, wenn man so überwältigt wird von dieser Emotion, dass man absolut nicht mehr funktioniert. Der Freeze der besonderen Art sozusagen. Eine Panikattacke ist für Betroffen der schlimmste angenommene Ausdruck von Angst. Nicht wenige Notarzteinsätze sind Panikattacken geschuldet, denn sie fühlen sich oft an wie Herzinfarkte. Und weil das Erleben einer Panikattacke so traumatisierend ist, hat man ab diesem Zeitpunkt nicht mehr „nur“ Angst. Als ob nur Angst nicht reichen würde, hat man dann Angst vor der Angst. Und das ist dann der Startschuss für Panikattacke zwei bis x.

Furcht ist der Teil der Angst, der nicht nur in Gedanken stattfindet, der berechtigt und real ist.
Man hört nachts ein Geräusch im Flur, und fürchtet sich vor einem Einbrecher.
Man begegnet im Wald einem Wildschwein, und fürchtet sich vor einem Angriff.
Furcht führt dazu, dass wir nicht mehr denken, sondern handeln. Wir wehren uns, wir laufen weg, wir klettern auf einen Baum. Das Denken setzt erst nach der Handlung wieder ein. Nach Fight, Flight oder Freeze realisieren wir den Ernst der Lage, und mit dem Denken kommt Angst. Bei einem Verkehrsunfall z.B. manövrieren wir das Auto, ohne zu denken, dann steigen wir noch ganz normal aus dem Wrack aus, unterhalten uns mit der Polizei und nach einer halben Stunde können wir vor lauter Zittern nicht mehr stehen, weil uns nach Abklingen des Adrenalinkicks erst klar wird, wie das hätte ausgehen können.
Die Emotion Angst setzt immer nach einem tatsächlich bedrohlichen Ereignis ein, wenn der Angst ein solches vorangegangen ist.
Furcht, eine fokussierte und reale Angst, kann dann zu Angststörungen führen, wenn das, was passiert ist, so einschneidend war, dass ein Trauma zurückbleibt, und wenn dieses anschließend nicht bearbeitet wird.

Generalisierte Angst, phobische Angst und Panik können miteinander auftreten. Anorexie ist so ein Beispiel.

Angst ist vorwärtsgerichtet, eine in die Zukunft gerichtete Emotion: Was wird passieren….
Der phobische Teil ist gegenwärtig oder auch zukunftsbezogen: Der Aufzug, die Spinne an der Wand oder der Gedanke an eine potenzielle Spinne an irgendeiner Wand.
Die Panik ist wie schon gesagt eine Entgleisung jeglicher, auch einer berechtigten, Angst.

(Depression ist rückwärtsgerichtet, ein auf die Vergangenheit bezogener Zustand: Wenn das nicht gewesen wäre, hätte ich doch…)

Kompensation ist das erste und meist unbewusste „go to“, wenn wir es mit Angst zu tun haben. Nur leider funktioniert es nicht, Angst mit Ersatzhandlungen in die Flucht zu schlagen.
Und doch gibt es Möglichkeiten, auch schweren Ängsten konstruktiv zu begegnen und sie am Ende sogar so in den Griff zu bekommen, dass ein normales Leben möglich ist:

Hier sind ein paar Skills:

Niemals das vermeiden, was Angst macht
Wir vermeiden, was uns Angst macht. Wir fahren nicht Aufzug, wir gehen nicht raus, wir essen eingeschränkt u.a.
Vermeiden macht die Angst nicht nur größer, sondern es führt dazu, dass wir vor immer mehr Situationen (unterschiedlichen oder ähnlichen) Angst bekommen. Angst wird man los, indem man durch sie hindurchgeht, sie aushält. Das ist hart. Die Kunst hierbei ist es, das so hinzubekommen, dass man den Bereich zwischen lähmender Angst und zu easy findet. Eine Challenge sollte durchaus eine Herausforderung sein, aber nicht so schwer, dass die Angst lähmt und ein Versagensgefühl auslöst. Das macht Angst nur schlimmer. Um das hinzubekommen, macht man Expositionen. Expos sind die erfolgreichste Methode gegen alle Aspekte der Angst.
Man fängt mit einer mittelschweren Aufgabe an, manchmal sogar mit einer ganz einfachen, um Erfolg zu garantieren. Man kann sich erst gedanklich herantasten, ein Foto anschauen, dann das Angstobjekt unmittelbar anschauen, anfassen und dann tun, was man tun muss. Man macht diese Schritte jeweils so lange, bis die Angst weg ist, und geht dann zum nächsten Schwierigkeitsgrad über.

Stimulanzien vermeiden
Es gibt Substanzen, die Angst auslösen und/oder sie spürbarer machen, die die meisten täglich konsumieren. Kaffee zum Beispiel. Kaffee fördert die Durchblutung des Gehirns und kann beim Denken helfen. Blöd nur, wenn sich das Denken im angstvollen Bereich bewegt. Kaffee kann hier immens triggern, und keiner kommt darauf, dass zunehmende Angst daran liegt. Kaffeekonsum merklich zu reduzieren, kann hier schonmal sehr gut helfen. Mindestens dasselbe gilt für Energy Drinks! Sie haben aufputschende Wirkung, und das, was mit aufgeputscht wird, ist die Angst. Auch Cola und schwarzer Tee gehören zur Gruppe der Getränke, die man besser meiden sollte.
Auch manche Medikamente können Angst verschlimmern. Die Anti Baby Pille bei Frauen ist so eines. Hormone sind kompliziert, und sie können so allerhand anrichten, vor allem wenn wir sie künstlich von außen zuführen.

Langeweile vermeiden
Das ist ein tricky one.
Langeweile macht Platz im Hirn für allen möglichen Unsinn. Angstvolle Gedanken vorneweg. Wer Zeit hat und Angst, der hat schnell mehr Angst und mehr Zeit, weil Angst keine Tätigkeiten mehr möglich macht. Teufelskreis.
Also, jede Art von Hobby, interessante Podcasts, lesen (wenn möglich), telefonieren, studieren, arbeiten, egal. Hauptsache, das Hirn ist beschäftigt.
Aber: Dauerbeschäftigen, nur um nichts zu spüren, endet schnell im Zwangsverhalten, vor allem mit entsprechender Veranlagung. Man kann zu so ziemliche allem einen Zwang entwickeln. Alles, was man ritualisiert, wiederholt tun muss und nicht lassen kann, weil man sonst Angst kriegt, fällt in diese Kategorie. Sport zum Beispiel. Computerspiele. Sogar Socializing. Wer ständig Leute um sich braucht, der muss mal gucken, ob das nicht eine übertriebene Form von Angstkompensation ist.
Fakt ist, wer ständigen Produktivitätsdrang hat, muss mal nach seiner Angst schauen. Viele wisse nämlich gar nicht, dass dieses Problem dahintersteckt.
Man braucht aber auch Ruhe. Das Hirn muss mal in den Default. Mal nichts tun bzw. sich entspannen, ist absolut notwendig, auch um Angst besser in den Griff zu bekommen. Hier muss man, genauso wie bei den Expositionen, die goldene Mitte für sich finden.

Essen
Worauf deuten diese Symptome hin?
Übelkeit und/oder Erbrechen
Herzrasen
Zittern
Unruhe
Schweißausbruch
Kopfschmerzen
Schwäche
Nervosität
Verwirrtheit

Nein, kein Herzinfarkt, auch keine Panikattacke.
Es ist Hypoglykämie, Unterzucker, ein hungriges Hirn!

Ein hungriges Gehirn, ist ein angstvolles Gehirn. Nicht genug Energie bedroht unser Leben. Das Hirn unterscheidet hier nicht, in welchem Zustand wir sonst sind und ob der Saft auf dem Tisch vor uns steht. Wenn wir ihn nicht trinken, ist die Gefahr nicht gebannt. Unterzucker ist Gefahr und Gefahr macht Angst. Und Angstsymptome. GO EAT- Symptome.
Unser Gehirn braucht Energie und die bekommt es durch Nahrung. Der Schwachsinn mit den energieersetzenden Ketonkörperchen beim intermittierenden oder sonstigen Fasten ist: Schwachsinn.
Wer nüchtern auch noch Sport macht, darf sich nicht wundern, wenn die Angst nicht besser wird. Und das Hirn streikt.
Energiedefizit macht Angst. Und das ist eine Verbindung zwischen Anorexie und einer Angststörung.
Wer also ein Problem mit der Angst hat, tut gut daran, fünf bis sechs Mahlzeiten am Tag zu essen und kein Energiedefizit aufkommen zu lassen. Die Hauptmahlzeiten sollten alle Makronährstoffe beinhalten, also Kohlenhydrate, Fette und Eiweiß. Angststörungen können nicht besser werden, wenn man nicht regelmäßig isst. Unabhängig vom Körpergewicht! Diesen Satz hassen alle Anorexies 😊
Wer Angst (erstmal) loswird, wenn er hungert, der hat nach allen Regeln der Kunst die genetische Prädisposition einer AN, und sollte extra aufpassen.

Hilfe annehmen
Niemand muss alles allein auf die Reihe kriegen. Egal, ob die Pflege eines Elternteils oder eines Kindes, ein Projekt in der Arbeit, eine Reparatur, therapeutische Hilfe oder was immer. Wer nie aktiv um Hilfe fragt, wer keine Hilfe annimmt, hat möglicherweise kein Vertrauen in andere und/oder in sich. Wer keinen Vertrauensvorschuss gibt, auch nicht sich selbst, kann Vertrauen nicht lernen. Und das Gefühl, etwas gemeinsam hinbekommen zu haben oder mit etwas nicht allein dazustehen, ist unersetzlich. Und angstlösend.

Vertraut Euch
Behandelt Euch selbst so, dass man Euch vertrauen kann. Kein Imposter Syndrom! Vertraut drauf, dass Eure Fähigkeiten halten, was sie versprechen. Erkennt Eure Erfolge an, macht sie nicht durch perfektionistische Gedanken und Handlungen zunichte. Perfektionismus ist ein Ausdruck von Angst, und Perfektion ist niemals zu erreichen. Also hängt Eure Energie nicht da rein. Redet Euch nicht klein und schlecht, in Euren Gedanken oder sogar vor anderen.

Fazit:
Beschäftigt Euer Gehirn, und gönnt Euch Ruhe. Achtet darauf, dass Ihr regelmäßig und ausreichen esst, keine anregenden Getränke trinkt, Euch nicht über- aber auch nicht unterfordert, keine zu hohen Ansprüche stellt an Euch selbst, respektvoll mit Euch umgeht, und ein paar liebe Menschen Euer Leben bereichern.

Angst bleibt nicht allein. Sie hat Euch und Euer Verhalten. Sie benutzt Euch. Und Ihr dürft sie verlassen. Ihr dürft gehen. Ihr könnt auch ohne sie. Angst hat Angst vor Eurem Mut, Eurem Selbstrespekt, und vor der Gesellschaft von vertrauten und vertrauenswürdigen Menschen in Eurem Leben!