Freundschaft ist ein kompliziertes Thema, nicht nur für Autisten. Ich glaube, die meisten Erwachsenen, die es aus unterschiedlichen Gründen nicht geschafft haben, ihre Freunde aus jüngeren Jahren in ihr späteres Leben zu retten, tun sich schwer, tragfähige freundschaftliche Beziehungen zu finden. Ich hatte schon mal über das „Double Empathy“ Problem zwischen Autisten und neurotypischen Menschen geschrieben, über die unterschiedlichen Wahrnehmungen und deren Auswirkungen auf soziale Interaktionen. Aber ein ungleicher Kommunikationsstil ist nicht allein verantwortlich, wenn Freundschaften nicht funktionieren.

Tatsächlich gibt es ein paar Dinge, die in Freundschaften wirklich zählen.

Um im realen Leben Freunde überhaupt erst mal finden zu können, muss man seine eigenen vier Wände verlassen. Viele Autisten tun das eher ungern, nicht zuletzt aufgrund der vielen Reize, die draußen auf uns warten. Aber auch, weil unsere Interessen eben oft nicht in interaktivem Tun mit anderen liegen, sondern eher am eigenen Schreibtisch und im online Bereich ausgelebt werden. Daraus ergeben sich zwar virtuelle Sozialkontakte, die durchaus auch über lange Zeit halten können, aber sie erfüllen nicht dieselben Bedürfnisse wie tatsächliche zwischenmenschliche Beziehungen.

Auch der Job kann eine gute Gelegenheit sein, sich mit jemandem anfreunden zu können. Aber wie wir alle wissen, ist der Arbeitsbereich nicht gerade der, an dem sich Autisten sozial besonders wohl fühlen. Im Gegenteil. Hier entstehen für viele ja tatsächlich die größten Probleme.
Bleiben Sport, Nachbarschaft oder andere Interessengemeinschaften, zumindest für diejenigen, die doch ab und zu mal ganz gerne unter Leute gehen oder Hobbys haben, die man nicht allein machen kann oder will.

Hat man nun einen Freund gewonnen, gibt es ein paar Dinge, die förderlich sind und andere, die es eben nicht sind; egal ob man im Spektrum ist oder nicht.

Freundschaften sind Beziehungen.

Beziehung, also sich aufeinander einlassen, geht bekanntlich nur beiderseits.

Und so sind auch beide gleichermaßen dafür verantwortlich, ob diese besondere Art von Nähe und Verbundenheit wachsen kann oder eben nicht. Wenn die Freundschaftspflege vornehmlich einer von beiden übernimmt, wird die Verbindung nicht lange halten.

Es reicht auch nicht, Freundschaft auf dem zu begründen, was man vielleicht mal in der Vergangenheit miteinander erlebt hat, was einem damals verbunden hat.
Ich habe es in letzter Zeit zweimal erlebt, dass ich sehr gute Freundinnen von früher wiedergetroffen hatte und sofort war dieses schöne, vertraute Verbundenheitsgefühl wieder da. Wir habe dann tatsächlich eine Weile versucht, unsere Bindungen wiederherzustellen, mussten aber feststellen, dass es nicht funktionierte. Wir hatten uns schlichtweg auseinanderentwickelt. Das passiert. Es ist normal und es ist gut so.

Wenn man mit Freunden aus alten Tagen keine Zukunft lebt oder leben kann, mag es zwar sein, dass man sich ab und zu mal hört oder liest und in großen Abständen vielleicht auch sieht, aber Freundschaft im Sinne eines gemeinsamen Erlebens ist das nicht mehr.

 Freundschaft braucht Toleranz

Wer seine Freunde nicht lässt, wie sie sind, wer sie an seine eigenen Bedürfnisse anpassen will, wird sie verlieren. Niemand möchte sich für andere verbiegen müssen und keiner mag Manipulation.

Die fünf wichtigsten Eigenschaften für gute Freundschaft sind:

  1. Zuhören

Ohne echtes Interesse ist Freundschaft reiner Selbstzweck.
Zuhören können und ernsthafte Fragen stellen zeigen, dass der andere wichtig ist. Ich möchte teilhaben am inneren Erleben meines Freundes/meiner Freundin und an dem, was er/sie so tut.

  1. Besserwisserei vermeiden

Besserwisserei gibt anderen das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, weniger Wert zu sein, dümmer zu sein. Oft genug löst so ein Verhalten Aggressionen und Hilflosigkeit aus und ganz sicher keine Nähe. Nachvollziehbar! Wer will sich schon immer verbessern lassen und vor anderen zurücktreten.

Wir Autisten sind oft besonders gut informiert und fit in bestimmten Themenbereichen und viele von uns sind ziemlich intelligent. Außerdem haben die meisten ein sehr sachliches Verständnis der Welt und können die emotionale Ebene des anderen manchmal nicht automatisch „auslesen“ oder nachvollziehen. So passiert es nicht selten, dass wir so wirken, als würden wir alles besser wissen wollen, als wollten wir immer recht haben. Falsch. Wir sind sehr lösungsorientiert und richtig ist für uns wichtig. Recht haben und richtig sein sind ganz unterschiedliche Sichten. Informieren ist auch unsere Art der Unterstützung. Das kommt bei NT leider manchmal falsch an, vor allem, wenn sie nichts von unserem Autismus wissen oder sich damit nicht auskennen.

Macht es Euch bewusst, wenn Ihr dazu neigt, mal schnell zu korrigieren oder Euer Kontaktverhalten vornehmlich sachorientiert läuft. Wenn Euch ein Mensch als Freund etwas bedeutet, sollte Ihr über ein Outing nachdenken und Euren Autismus erklären. Das kann einiges leichter machen.

  1. Zeit 

„Keine Zeit“ ist fast immer ein Scheinargument. Punkt!
Und es hat eine Signalwirkung, nämlich: Du bist mir nicht wichtig genug.
Manchmal steht „keine Zeit“ auch dafür, dass etwas im anderen ihn daran hindert, seine Prioritäten zu verschieben. Meist sind das irgendwelche Ängste. „Avoidant Personality“ gebe ich hier mal als Stichwort.

Natürlich hat keiner immer Zeit. Das Leben bringt viele Verpflichtungen und kaum jemand kann heute noch wirklich frei über seinen Kalender entscheiden. Der Job ist wichtig. Und klar gehen die Bedürfnisse der Familie vor die der Freundschaft.

Aber:

Nie Zeit haben bedeutet eher, nie Zeit haben wollen.
Das No Time Argument ist leicht formuliert, wenn einer von beiden die Freundschaft eigentlich nicht will oder beenden will, sich aber nicht traut, das entsprechend zu kommunizieren.
Und Freundschaft mit Menschen, die zu Vermeidungsverhalten neigen und nicht bereit sind, daran zu arbeiten, ist generell schwierig.

Wem etwas am anderen liegt, wer echtes und ernsthaftes Interesse an einer Freundschaft hat, der findet auf jeden Fall auch Zeit dafür- und zwar regelmäßig, nicht nur alle x Monate. Es muss nicht immer die große Unternehmung sein. Es reicht auch mal, nur zu telefonieren, sich kurz auf einen Kaffee zu treffen oder eine Runde durch den Park zu spazieren.

  1. Innere Verbundenheit

Freundschaft heißt auch, an den anderen zu denken. Das sollte so sein, wenn man jemanden ins Herz geschlossen hat, denn genau diese innere Verbundenheit ist ja ein wesentliches Merkmal einer guten Freundschaft. Wenn man den anderen nicht mehr spürt und den Kontakt zueinander nicht mehr sucht, verliert man sich aus den Augen. Wenn das passiert, sollte man klären, wie wichtig der jeweils andere noch ist und ob beide bereit dazu sind, wieder anzuknüpfen und das Miteinander wiederzubeleben. Wenn nicht, ist ein sauberer Schnitt oft besser als eine „Leiche“ im Telefonbuch.

„Friends For a Reason“ teilen unsere Hobbies.

„Friends For a Season“ begleiten uns für eine Weile durchs Leben.

Und „Friends For a Lifetime” sind die, die in unseren Herzen sind. Die immer da sind, egal was passiert.

Aber sie sind selten. Wenn Ihr Euren gefunden habt, passt gut aufeinander auf.