Der englische Begriff «harm reduction», also Schadensminderung, ist etwas widersprüchlich, denn tatsächlich werden Menschlichkeit und Empathie als zentrale Werte in der Begleitung von Betroffenen betont.
Was Harm Reduction (HR) nicht ist:
HR ist keine Anleitung, wie man in der Erkrankung verharrt. Es bedeutet nicht, Betroffene zu motivieren, in ihrer Krankheit zu bleiben oder ihnen zu vermitteln, dass es keine Hoffnung auf Heilung gibt. Vielmehr wird jenen Raum gegeben, die für sich noch keinen Heilungswunsch erkennen und zunächst daran gearbeitet, eine Verschlechterung zu verhindern.
Der Ansatz des HR:
Ziel ist es, Betroffene dort abzuholen, wo sie sich in ihrer AN gerade befinden und notwendige Pausen von belastenden Therapieroutinen zu erlauben. Dies macht eine ganzheitliche Sichtweise möglich, indem es Raum schafft, die auslösenden und erhaltenden Aspekte der Anorexie in den Fokus zu rücken und so von Grund auf an den Ursachen zu arbeiten. Diese gehen erfahrungsgemäß weit über den genetischen Aspekt des Gewichtsverlustes als Auslöser hinaus. Dieser Gedanke, es sei vornehmlich das Energiedefizit, ist entlastend und attraktiv. Verständlicherweise hält jeder gerne daran fest, ganz besonders Angehörige. Doch Gewichtsabnahme allein macht keine AN und Gewichtszunahme allein macht keine Heilung. Das zeigt die Praxis. Ausnahmen bestätigen die Regel. Auch wir haben hier umdenken müssen!
Ein menschliches Behandlungskonzept:
HR als Gesundheitsförderung bedeutet, Achtsamkeit und Verantwortung zu zeigen für die Betroffenen. Es geht darum, das große Ganze zu betrachten und den individuellen Heilungsprozess jedes Einzelnen zu unterstützen, indem wir auf persönliche Geschichten und Bedürfnisse eingehen.
Der Druck des „Muss“:
Oft hören Betroffene in Therapien den Satz: „Du musst…“. Oder die Drohung, wenn Du nicht…“. Sie werden gemaßregelt, bestraft und allzu oft weder gehört noch verstanden. Das erzeugt Angst, Widerstand und Stress und ist kontraproduktiv für eine Heilungsmotivation. Dieser Realität müssen wir uns stellen. Harm Reduction hingegen schafft einen Raum, in dem Betroffene eigene Gedanken und Lösungen entwickeln können, fernab von Druck und Zwang. Diese Methode fördert erfahrungsgemäß Vertrauen, Ehrlichkeit und Selbstbestimmung.
Ein Aufruf zur Toleranz:
Leider wird HR selten praktiziert, denn so zu arbeiten ist zeit- und damit auch kostenintensiv. Während es empathische Ärzte und Therapeuten gibt, ist es oft das System und hartnäckige, veraltete Denkmuster bezüglich dieser Erkrankung und dem Umgang damit, die dazu führen, dass es wenig Fortschritt gibt. Wir müssen viel mehr Menschlichkeit in die Therapien von Anorexie einfließen lassen. Es ist dringend notwendig, gemeinsam darauf hinzuwirken, dass wir Harm Reduction als Gesundheits-/Heilungsförderung in den Prozess der AN Behandlung integrieren können, um einen wirklichen Unterschied zu machen, und alle Patienten zu erreichen.
Mit Toleranz, Empathie und Verständnis können wir Schritt für Schritt eine Umgebung schaffen, die Heilung möglich macht, weil sie Sicherheit und Akzeptanz vermittelt. Damit bieten wir von außen etwas an, dass Menschen mit AN durch ihre Erkrankung in sich verloren haben.
Wie man es schafft, mit AN Lebensqualität zu haben, ohne sich immer mehr zu schaden
Disclaimer: Ich kenne euch in der Regel nicht persönlich. Ihr seid selbst verantwortlich für das, was ihr aus diesem Artikel macht!
Das wird ein Beitrag der anderen Art. Ich habe lange überlegt, ob ich ihn schreiben soll, und mich dann dafür entschieden. Einfach deshalb, weil die Realität vieler von Anorexie betroffener Menschen nicht die ist, gesund zu sein, zu werden oder es werden zu wollen bzw. zu können. Wenn ihr zu denen gehört, seid ihr vermutlich massiv unter Druck, habt nicht nur eure Probleme zu bewältigen, sondern spürt auch noch die Verantwortung für euer (zu Recht) besorgtes Umfeld. Ihr bekommt wenig bis gar kein Verständnis und noch weniger Hilfe, wenn ihr Pech habt, werdet ihr auch noch bestraft. Ich möchte die Situation derjenigen, denen das so geht, mit diesem Artikel würdigen.
Über das Konzept der „Schadensminderung“ bei Anorexie habe ich hier schon einmal etwas geschrieben. Heute geht’s noch einmal darum, was Harm Reduction in der Umsetzung sein kann – und was nicht. Außerdem, wie man es schaffen kann, trotz AN Lebensqualität zu haben.
Schadensminderung bei Anorexie setzt immer eure bewusste Entscheidung voraus. Das bedeutet, dass ihr aus egal welchen Gründen willentlich und unter vollem Risiko nicht die vollständige Heilung anstrebt, sondern mit eurer Krankheit leben wollt. Ihr wählt diesen Weg, weil ihr unzählige gescheiterte Behandlungsversuche hinter euch habt, in der Regel unfreiwillig, oder aus sonstigen individuellen Gründen, welcher Art auch immer. Ihr habt vermutlich genug Frust und Versagen erlebt und könnt euch ein Leben ohne AN nicht mehr vorstellen – und wollt es auch nicht. Oder der Zeitpunkt passt nicht für die schwere Heilungsarbeit. Ihr wollt retten, was noch an Gesundheit und euren familiären und anderen Beziehungen zu retten ist. AN ist für euch zur Normalität geworden, zu einer Identität, die bestimmt, wer ihr seid, was ihr tut und wie ihr aussehen wollt. Und sie ist ein Anker in schweren Zeiten. Ihr wollt selbst und frei über euren Körper bestimmen, ohne ihn komplett zu zerstören. Euch ist klar, dass das eine Gratwanderung ist. Deshalb braucht ihr eine wirkungsvolle medizinische und psychologische Strategie, die hierzulande und auch anderswo schwer zu finden ist.
Harm Reduction (H-R) bei Anorexie ist nicht Pro-Ana, es propagiert keine AN-Verhaltensweisen und fördert diese auch nicht! Diese Methode ist i.d.R. nicht geeignet für jüngere Kinder und Jugendliche (unter 18), die noch nicht mindestens zwei unterschiedliche längere Behandlungsversuche gemacht haben. Wenn ihr noch nicht volljährig seid und so stark im Untergewicht, dass eure Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt ist, ist H-R meist nicht die Methode der Wahl.
Merke: H-R bedeutet nicht, dass Betroffene sich selbst aufgeben!
Bei manchen Erwachsenen ist im Laufe der Zeit schon einiges besser geworden; ein Rest ist noch da, und ihr seid ok damit. Auch das ist H-R.
Merke: Jede Sekunde ist eine neue Möglichkeit, euch doch für „da geht noch was“ zu entscheiden.
Und nein, H-R ist nicht der leichtere Weg, denn ein Leben mit AN kann unfassbar anstrengend sein, je nachdem, an welchem Punkt sich jemand befindet, der an AN erkrankt ist.
Für die meisten von euch ist H-R eine Chance, ohne Druck, ohne das Gefühl der Entmündigung, ohne Bestrafung, Vorgaben und Fremdbestimmung, Ruhe in euer Leben zu bringen. Nur unter dieser Voraussetzung können viele von euch an Themen arbeiten, die mit der AN in Zusammenhang stehen, sofern ihr das wollt, und Verhaltensweisen reduzieren, die besonders stören, ohne dafür eure größten Ängste zu aktivieren. Viele von euch kommen über diesen Weg weiter, als ihr je dachtet – und wer weiß, eines Tages stellt ihr fest, dass ihr euch tatsächlich und unerwartet in Richtung „so weit wie möglich aus der AN“ bewegt.
Und jetzt noch mal zum Heilungsbegriff:
Es heißt immer, Heilung ist der Weisheit letzter Schluss und jede/r sollte Heilung anstreben und sich mit nichts weniger zufriedengeben. Wer das will, eine Vorstellung von seiner eigenen Heilung und dem Weg dahin hat und das umsetzen kann, ab dafür! Wie das aussehen kann, findet ihr hier.
Nur, was genau ist Heilung?
Gute Blutwerte etc.? Die sind sogar mit schwerer AN lange unauffällig. Periode bei Mädels? Die haben viele von euch auch im schweren Untergewicht noch, darum ist das kein Kriterium mehr für die Diagnostik.
Möglichst viel Gewicht? Gewicht ist wichtig. Aber das alleine reicht nicht. Für die meisten von Euch, die nicht freiwillig zunehmen, heißt mehr Gewicht, dass die AN lauter denn je ist. Bei der nächsten Gelegenheit nehmt ihr wieder ab. Oder ihr könnt nicht mehr aufhören zu essen. Und vor allem hasst ihr euch und alle anderen dafür, dass ihr zum Essen gezwungen wurdet und jetzt so ausseht, wie ihr nie aussehen wolltet. Ist das Heilung? Ich würde sagen: nein.
Vollständige Heilung (alles ist wie vorher, nichts von der AN ist mehr da) ist für alle, die die AN lange hatten, aus neurobiologischen Gründen schwierig. Und: Ihr habt keine Referenz. Weder wisst ihr, wie es früher war, noch haben die meisten von euch gesunde Vorbilder um sich herum, weil fast alle irgendwie gestört essen und ständig mit der angeblich „besten“ Ernährungsmethode beschäftigt sind.
Was also ist gesund? Woran orientiert ihr euch, an wem?
Da das niemand weiß, muss H-R auch bedeuten, euer eigenes „gesund“ definieren zu dürfen. Euer eigenes Ziel, bis wohin ihr gehen wollt. Wer kann euch vorgeben, was ihr tun oder lassen sollt, wenn nicht einmal diejenigen, die eine AN haben oder hatten, wirklich erklären können, was Heilung ist? Geschweige denn alle anderen, die euch umgeben und mit euch arbeiten, ohne jemals ihr eigenes Essverhalten auch nur reflektiert zu haben. Das macht Behandlung oft so paradox und damit unwirksam.
Was heißt Harm Reduction?
Merke: Dieser Ansatz beinhaltet weit mehr, als ich hier verantwortungsbewusst schreiben kann. Es gibt betimmte Interventionen medzinischer Art, die ich als nicht- Ärztin nicht teilen möchte, und die einen oder anderen Tipps von Betroffenen, wie man mit einer AN leben kann, ohne sich immer mehr in Gefahr zu bringen. Konstruktive Ansätze diesbezüglich findet ihr bei Bedarf z.B. bei Reddit.
Macht euch bewusst, dass ihr nicht gesund seid. Hört auf, euch selbst zu erzählen, die AN sei weg, wenn ihr sie tatsächlich einfach nur kanalisiert, insbesondere in Sport. Harm Reduction braucht eine bewusste Entscheidung; ihr müsst wissen, was ihr tut und welche Konsequenzen das für euch hat. Sonst könnt ihr nicht verhindern, dass ihr euch früher oder später noch mehr schadet. Und genau das ist der Sinn der Sache!
Medizinische Unterstützung:
Sucht euch einen Arzt oder eine Ärztin, die bereit ist, regelmäßig eure Werte und Organe zu checken und euer Gewicht zu überwachen. Diese Person sollte euch auch in Sachen Nahrungsergänzung beraten.
Überlegt euch, bestenfalls gemeinsam mit eurem Arzt einen realistischen Gewichtsbereich, den ihr aushalten könnt – oberhalb der Grenze zur Lebensgefahr und oberhalb des Bereichs, in dem ihr nicht mehr für euch verantwortlich sein könnt, weil die AN-Gedanken eure gesunde Seite überschreiben.
Merke: Die Fähigkeit zu einer verantwortlichen Entscheidung ist Voraussetzung für Harm Reduction.
Wenn ihr weit unterhalb eures Mindestgewichts seid oder Schwierigkeiten habt, allein dorthin zu kommen, lasst euch eventuell noch einmal auf einen Klinikaufenthalt ein, nur zum Zunehmen bis zu diesem Gewicht. Freiwillig rein, freiwillig raus. Vereinbart dann mit Arzt, Coach, Therapeuten oder Eltern, was eure eigene Konsequenz ist, wenn ihr dieses Gewicht (wieder) unterschreitet. Und haltet euch an diese Konsequenz.
Merke: Definiert eure eigene Konsequenz und haltet euch dran!
Gewicht halten wird mit der Zeit leichter, als immer wieder rauf und runterzu pendeln. Abnehmen ist purer Stress für euren Organismus. Wenn ihr keinen Arzt findet, sucht euch einen Buddy, der diesen Weg mit euch geht – einen Menschen, dem ihr vertraut.
Wiegen:
Um euer Gewicht nicht immer wieder zu unterschreiten, solltet ihr euch wiegen (lassen). In diesem Fall geht es eigentlich nicht ohne. Ihr kennt die AN; die feindliche Übernahme dieser Krankheit ist in euch. Sie treibt euch immer weiter nach unten, wenn ihr das zulasst und nicht dagegen arbeitet. Wer es aushalten kann, sein Gewicht zu sehen und es schafft, nicht bei 100 g mehr massiv dagegen zu steuern, der wiegt sich selbst. Wenn ihr euch mehrmals täglich wiegt, überlegt, welchen Sinn das macht und ob ihr das ändern wollt. Die meisten stresst das massiv. Einmal täglich reicht mehr als aus. Lasst euch blind wiegen von einer Person eures Vertrauens und macht ein Zeichen aus, wenn das Gewicht abrutscht. Das ist immer meine Empfehlung.
Merke: Nehmt nicht weiter ab!
Essen:
Achtung Refeeding-Syndrom:
Checkt, ob ihr hier in Gefahr sein könntet: Das Refeeding-Syndrom tritt auf, wenn ihr eine Zeit lang sehr unterkalorisch gegessen habt/viel Gewicht verloren habt und plötzlich wieder mit dem Essen beginnt.
Merke: Refeeding-Syndrom kann lebensbedrohlich sein!
Wenn ihr fünf bis zehn Tage oder länger sehr wenig gegessen habt, seid vorsichtig, wenn ihr wieder mit dem Essen beginnt.
Macht das am besten in Begleitung eines Arztes! In jedem Fall, wenn möglich, mit irgendeiner Begleitung, die auf euch schaut und notfalls da ist. Ihr müsst die Leute dafür über eure AN informieren. Fangt langsam an, und steigert euch vorsichtig. Wenn ihr merkt, dass ihr euch komisch fühlt, schwach, unterzuckert oder benommen seid: Das ist ein Notfall!
Ernährungspläne:
Die können Euch bei H-R wirklich helfen. Manchmal ist es entlastend, einfach einen Plan abessen zu können, der die Menge an Kalorien enthält, die ihr braucht, um euer Gewicht stabil zu halten. Nicht nachdenken, einfach mechanisch abessen. Eine Ernährungstherapeutin (zahlen die Krankenkassen) könnte euch hier helfen. Seid offen, wenn ihr nur H-R wollt und nicht Heilung. Das ist für eure Unterstützer wichtig zu wissen.
Trinken:
Achtet auf eure Nieren. Sie werden von der AN definitiv in Mitleidenschaft gezogen. Wer Angst hat vor Gewichtszunahme durch Wassertrinken: Das wäre so eine Verhaltensweise, die es sich lohnt, zu challengen. Ohne Wasser kann man nicht leben. Aber: Zu viel Wasser, also dauerhaft trinken, um das Hungergefühl nicht zu spüren, bringt euren Wasserhaushalt/Elektrolyte aus dem Gleichgewicht, insbesondere wenn es Leitungswasser ist.
Unterzucker:
Das ist ein Problem vieler AN. Nüchtern unterzuckern kennt man. Aber es gibt noch ein anderes Phänomen: Bei AN (insb. in Kombi mit Sport) sind die Glukosespeicher in der Leber meist leer und das Magen-Darm-System arbeitet zu langsam. Das führt dann häufig zu postprandialer Hypoglykämie, also Unterzucker trotz Essen. Das komische Gefühl kommt immer, sobald man anfängt, nach dem Essen zu gehen. Ein bisschen bewegen reicht da schon.
Merke: Nicht zu essen, ist für dieses Problem keine Lösung, im Gegenteil!
Merke: Immer Dextro dabeihaben! Wenn ihr das Gefühl habt, ihr seid unterzuckert, nehmt einen Traubenzucker. Oder zwei! Auch NACH dem Essen.
!Merke!: Geht nicht ins Bett, wenn ihr stundenlang vorher nicht gegessen habt, oder beim Sport wart, ohne zu essen!
Esst vor dem Schlafengehen ein Vollkornbrot (auch ohne Belag, wenn es nicht anders geht) oder einen Müsliriegel, etwas mit Carbs, dass länger braucht zum Verdauen (langkettige Kohlenhydrate). Protein hilft euch hier nicht. Unterzucker nachts ist lebensgefährlich. Legt euch Traubenzucker neben das Bett.
Protein:
High Protein (wenn schon zunehmen, dann Muskeln) ist gerade der AN und überhaupt-Trend. Eure Nieren sind angegriffen von der AN, und Proteine zu filtern, ist für das Organ dann eine zusätzliche Erschwernis. Muskelaufbau braucht auch Fett und Kohlenhydrate. Der Gedanke, viel Protein zu essen, um nicht oder nur Muskeln zuzunehmen, ist Quatsch. Außerdem: Ein ketogener Körper (zu wenig Kohlenhydrate), aka AN, verzehrt sich selbst. Und das riecht man – es macht tierischen Mundgeruch, gegen den auch Kaugummi nicht hilft. Will keiner! Also Kohlenhydrate und Fett integrieren, nicht nur für den Körper und den frischen Atem, sondern auch für das Gehirn.
Merke: Euer Hirn besteht zu 55 % aus Fett; wenn das fehlt, gibt es Probleme. Und Carbs nicht vergessen.
Hormone:
Das Ausbleiben der Periode ist ein Problem, bzw. der Grund dafür ist das Problem. Die weiblichen Geschlechtshormone sind wichtig für den gesamten Körper, vor allem auch für die Knochen. Sind die Hormone niedrig, steigt das Osteoporoserisiko. Sucht euch eine Frauenärztin, die naturidentische Hormone anwenden kann, und lasst euch substituieren.
Merke: Die Antibabypille ist komplett kontraproduktiv. Sie macht die Sache schlimmer, nicht besser!
Also braucht ihr jemanden, der sich auf „alternative Hormonbehandlung“ spezialisiert hat, oder ihr geht in ein Hormonzentrum. Das wäre am besten, steht aber nicht überall zur Verfügung, vor allem nicht für Kassenpatienten.
Sport:
Ihr könnt euch mit Sport Essen „kaufen“. Die allermeisten AN tun das. Wenn ihr Sport macht, dürft ihr mehr essen. Das Prinzip hat nur einen Haken: Ihr macht immer mehr und mehr Sport, nur um essen zu dürfen. Das geht irgendwann nicht mehr gut. Sport und Mangelernährung sind eine gefährliche Kombination. Ihr könnt mangel- oder unterernährt keine Muskeln aufbauen, bzw. nur bis zu einem bestimmten Punkt. Muskeln brauchen einen Energieüberschuss. Bleibt dieser aus, wird euer Körper alles tun, damit ihr keine Muskeln und kein Körperfett mehr verliert, trotz Sport. Er greift u.a. euer Herz an.
Merke: Der Körper fährt den Energieumsatz bei AN während und nach dem Sport runter, und baut euren Herzmuskel ab, wenn es blöd läuft.
Und die Knochen können brechen, weil sie durch die AN instabil sind, das läuft ganz oft blöd.
Also seid vorsichtig!
Merke: Gebt euch ein Sport-Limit pro Tag oder Woche und haltet das ein.
Binges:
Ein weiteres Problem der Mangelernährung mit viel Sport ist, dass der Körper irgendwann einfordert, was er haben will. Das führt euch vor den Kühlschrank, ob ihr wollt oder nicht. Früher oder später holt es Euch ein.
Merke: Nicht nur abends essen, wenn irgend möglich. Esst irgendwas zum Frühstück und zum Mittagessen, selbst wenn es nur eine Kleinigkeit ist.
Verhaltensweisen challengen:
Das ist der Part, der Lebensqualität bringen kann. Macht eine Liste mit euren AN-Verhaltensweisen und seid ehrlich dabei. Schaut euch dann an, was euch am meisten belastet, und arbeitet daran. Ihr könnt von leicht zu schwer gehen; das bringt mehr Erfolgserlebnisse.
Merke: Man kann auch ohne am Gewicht zu basteln, AN-Verhalten abbauen. Das Gewicht darf aber nicht unter Risiko sinken.
Ihr könnt lernen, euch nur einmal am Tag oder einmal in der Woche zu wiegen, oder das blind zuzulassen. Am einfachsten geht das „Cold Turkey“, also weg mit der Waage und aushalten, das Gewicht selbst nicht zu wissen.
Ein anderer Weg ist es, je nachdem, wie oft ihr da drauf steigt, die Frequenz zurückzubauen: Nur noch einmal täglich, dann dreimal wöchentlich, dann einmal wöchentlich, dann alle vierzehn Tage, je nach dem, was euer Ziel ist. Für jeden nicht gewogenen Tag gibt es ein grünes Kreuzchen in den Kalender. Das macht Erfolg sichtbar.
Ihr könnt lernen, Dinge selbst zu tun, die andere für euch getan haben – heißt, euren Schonraum zu verlassen und selbständiger zu werden. Auch hier geht besser von leicht zu schwer. Macht auch hier eine To-Challenge-Liste. Gebt euch Aufgaben, sucht jemanden, der euch motiviert und ein bisschen kontrolliert, und traut euch. Es wird von Mal zu Mal leichter.
Ihr könnt lernen, von normalem Geschirr zu essen, indem ihr das Minnizeug verschenkt, weggebt, wegsperrt.
In normalem Tempo essen: Ein Wecker, ein Taktell, eine Stoppuhr, ein 10 Minuten Podcast, bis zu dessen Ende ihr gegessen haben müsst, oder mit Leuten essen, die „normale“ Essgewohnheiten haben, helfen.
Ihr könnt es hinbekommen, vor anderen zu essen und mit anderen. Geht in ein Kaffee, oder fangt erstmal mit einer Zoom (o.ä)-Verabredung an, bei der beide ein Keks essen. Steigern, üben, üben.
Ihr könnt Essen gehen lernen und euer Essen so steuern, dass ihr euch verabreden könnt. Das muss ich glaube ich nicht erklären. Verabreden geht auch erstmal online, wenn das sicherer ist für euch. Die, mit denen ihr euch verabredet, müssen ja nicht wissen, dass ihr deren Gesellschaft zum Üben nutzt.
Ihr könnt es schaffen, auch an Tagen zu essen, an denen ihr keinen Sport macht. Sucht ein zusätzliches Hobby, Sprache lernen, Nebenjob, Tiere, was auch immer. Nur nichts mit Sport. Ablenken!
Ihr könnt euren Sport auf ein nicht gesundheitsbedrohliches Maß reduzieren. Analog der Methode mit der Waage.
Merke: Überlegt euch, was ihr wollt, was euch wichtig ist, was eure Ziele sind und was Lebensqualität für euch bedeutet.
Dorthin zu kommen, wird euch nicht ersparen, das eine oder andere unangenehme Gefühl aushalten zu müssen. Aber es ist leichter, das zu tun, wenn ihr eure größte Angst, die vor der Gewichtszunahme, erstmal nicht triggern und umgehen müsst. Vielleicht findet ihr sogar eine/n Coach, der/die euch auf diesem Weg begleiten kann.
Merke: Ihr könnt jede Sekunde einen oder zwei oder drei Schritte weiter gehen. Ihr entscheidet!
Long Story Short:
Es ist wichtig, dass jede betroffene Person ihren eigenen Weg findet. Schadensminderung kann eine konstruktive Strategie sein, um trotz der Herausforderungen, die diese Krankheit mit sich bringt, Lebensqualität zu erreichen. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn der Weg nicht linear verläuft oder die vollständige Heilung nicht das vorrangige Ziel ist. Entscheidend ist, dass ihr euch selbst und eure Bedürfnisse ernst nehmt und ihr euch nicht in einem ständigen Kreislauf von Druck und Entmutigung verliert.
Wenn ihr mehr über die Hintergründe und verschiedene Ansätze zur Überwindung von Anorexie erfahren möchtet, schaut euch bitte auch die Artikel „Wenn´s für immer bleibt? (September 2023) (Teil 1)“ und „Der Weg aus der AN – Anleitung“ an. Denkt daran: Ihr seid nicht allein auf diesem Weg, und es gibt Unterstützung, die euch helfen kann, ein erfülltes Leben zu führen, während ihr gleichzeitig an euren Zielen arbeitet. Jede Entscheidung, die ihr trefft, kann ein Schritt in die richtige Richtung sein.
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