Warum gesunde Ernährung eine Essstörung maskieren kann

 

Auf Wunsch einer Leserin starte ich in ein neues Blog Jahr mit meinem wohl bisher wichtigsten Artikel.

Orthorexie, wenn gesunde Ernährung krank macht

Ich weiß, lange Artikel sind anstrengend zu lesen, und manche von Euch werden vielleicht sogar ab und zu den Impuls spüren, wegzuklicken, denn das, was da jetzt zu lesen sein wird, will man nicht haben.

Warum? Orthorexische Tendenzen als Extremvariante gesundheitsbewussten Verhaltens sind nicht so selten. Der Grat zwischen ersten Anzeichen und einer ausgewachsenen Essstörung ist schmal, der Übergang oft fließend.
Also, bleibt dran. Schaut nicht weg. Ihr habt nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen. Wenn Ihr Euch nicht angesprochen fühlt, habt Ihr hoffentlich einen Mehrwert an Wissen. Ich gebe hier viel Grundwissen weiter.
Wenn Ihr Euch oder einen nahen Menschen aber wiedererkennt in dem was hier steht, und sei es nur in Nuancen, versteht das als „call to action“, als Aufforderung, zu handeln!

Bevor ich gleich ins Thema gehe, möchte ich unbedingt darauf hinweisen, dass das kein anti- gesunde Ernährung Artikel wird!
Ich bin für gesunde Ernährung und für einen aufmerksamen, achtsamen Lebensstil. Ich bin gegen Massentierhaltung und Antibiotika -Mast. Jeden Tag Fast Food halte ich für ungesund und tafelweise Schokolade als Problemlöser ist sicher keine gute Idee. Ein ausgewogenes Leben mit einem Speiseplan, der alle Nährstoffe enthält, der aber auch mal Emotionen befriedigen darf, und eine Tendenz zur goldenen Mitte in allem was wir tun, finde ich essenziell für unsere Gesundheit. Gesunde Ernährung betrifft nicht nur die Auswahl unserer Lebensmittel selbst, sondern auch die Motive, wie wir unsere Wahl treffen, also wie wir darüber denken. Eine unbeschränkte Haltung zum Essen bedeutet, eine Balance zu finden, die die körperlichen und seelischen Bedürfnisse befriedigt.

Sich nicht restriktiv zu ernähren heißt, bewusst zu essen und dennoch Essen eben Essen sein zu lassen, anstatt es zu funktionalisieren.

Wer sein Essen permanent daraufhin überprüfen muss, ob es etwas beinhalten könnte, das vermeintlich „schädlich“ ist, wer mit unangenehmen Emotionen, Angst, Ausweichreaktionen, Schuldgefühlen und Wiedergutmachungsaktionen reagiert, sobald etwas nicht den selbst auferlegten Regeln entspricht, der sollte aufmerksam sein, denn dann läuft irgendetwas schief.

Orthorexia nervosa ist erst seit 1997 bekannt. Der Arzt Dr. Steven Bratman, prägte den Begriff. Er litt nach seinen Angaben selbst unter dieser Störung.  Orthorexisches Verhalten, also eine Beschäftigung mit gesunder Ernährung, die über das normale Maß hinaus geht, ist für viele Betroffene der Einstieg in das komplexe Spektrum der Essstörungen. Dieser Artikel soll das Bewusstsein für diese Erkrankung schärfen und ist deshalb eine wichtige Prävention.

Orthorexie und Anorexie sind nicht weit voneinander entfernt.

Die biologischen Kompensationsmechanismen, die restriktiver Ernährung folgen und die wir nicht unter Kontrolle haben, führen auch schnell zu Binge Eating oder Bulimie. Orthorexie betrifft mehr Männer,  kann aber grundsätzlich jeden treffen, jedes Geschlecht und jedes Alter. Auch Kinder von betroffenen Eltern können erkranken, da sie in deren Verhaltensmuster gezwungen werden.

Der Beginn einer Orthorexie folgt einem guten Gedanken, ist scheinbar harmlos und nahezu immer unbemerkt. Der Verlauf jedoch verschlimmert sich stetig und mündet in eine oft lange körperliche und psychische Leidenszeit.

In unserer westlichen Welt ist Essen stets verfügbar und Botschaften, was gut oder schlecht für uns sein soll, prasseln täglich auf uns ein.

 Die schlimmste, schädlichste und vor allem falscheste aller Verkündung ist, dass wir unserem Körper nicht mehr vertrauen dürfen!

Tatsächlich ist es nicht unser Körper, der versagt. Es sind unsere Gedanken und Emotionen, die uns dazu bringen, unsere Intuition und unser Wissen Glaubensbotschaften unterzuordnen, die immer auf unsere Emotionen zielen. Botschaften, die sich punktgenau in unseren Gehirnen festsetzen. Sie docken da an, wo unsere größte Angst sitzt.

Das, was unsere Körper und unsere Seelen nähren soll, wird so zu einem der größten Stressfaktoren, verdeckt und unbemerkt unter der Maske eines scheinbar gesunden Lebensstils.

Menschen mit Orthorexie sind immer auf der Suche nach der perfekten Ernährung, der absoluten Art zu leben, die kontrollierbar ist und damit alle Ängste und Unzulänglichkeiten besiegen soll. Orthorexie fixiert sich dabei zunächst nicht auf das Aussehen oder das Gewicht, obwohl Gewichtsabnahme und Mangelernährung eine häufige und gefährliche Folge sind. Tatsächlich geht es primär darum, das Selbst und den Körper zu reinigen und rein zu halten.

„Food, no matter how pure, cannot fill the space in your soul that longs for love and spiritual experience. If you are trying to use it for this purpose, you may have gone astray on your journey.“ S. Bratman

Bei Orthorexie geht es um Kontrolle. Kontrolle, die zu einem Zwang wird, wenn man spürt, dass der Körper sich nicht kontrollieren lässt. Dieser Zwang wird zunächst über die Ernährung ausgelebt. Später kommt es meist auch zu zunehmend obsessiverem Bewegungsverhalten und anderen Zwängen, denn gut ist nie gut genug.

Kontrolle führt zu Besessenheit und Besessenheit ist kumulativ:
Aus ein bisschen weniger Fett wird kein Fett. Aus ein bisschen weniger Zucker wird kein Zucker. Aus weniger Kaffee wird kein Kaffee, aus weniger Kohlenhydraten werden keine Kohlenhydrate, und aus ab und zu mal verzichten wird mehrere Tage Wasserfasten.

Aus ein bisschen mehr Bewegung wird Sportbesessenheit und aus einem gesunden Lebensstil wird Orthorexie.

Aus Verhalten wird Sein. Ernährungsbesessenheit wird zur maskierten Identität.

Diese Muster beeinflussen nicht nur das Leben der Betroffenen, sondern nicht selten auch das ihrer Mitmenschen. Im Gegensatz zu Anorexie und anderen Essstörungen wird diese Erkrankung nicht verheimlicht. Es ist vielmehr so, dass Betroffene den Drang verspüren, ihre Überzeugungen in die Welt zu tragen. Alle, die sich nicht danach richten, werden belehrt, korrigiert und schlimmstenfalls ausgeschlossen. Jeder, der ihren Vorgaben nicht folgt, wird als vermeintliche Bedrohung empfunden. Weil am Ende oft nur noch diejenigen übrigbleiben, die nach denselben starren Regeln leben, ist Orthorexie gut getarnt im Gruppengeschehen. Was der eine tut, muss der andere auch tun. Was der eine lässt, muss der andere auch lassen. Man redet sich gegenseitig ein, dass Symptome andere Gründe haben als die Ernährung. Einer hält den anderen vehement davon ab, diesen Pfad zu verlassen, indem genau die Grundangst angesprochen wird, die diese Krankheit fördert: Nicht mehr zu genügen. So fällt selbst denjenigen nicht auf, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, die bereits eindeutige Symptome zeigen. Das macht eine Diagnose schwer und Heilung für viele nicht oder sehr spät zugänglich.

Menschen mit Essstörungen ist gemeinsam, dass sie im akuten Stadium nicht erkennen können, dass das, was sie tun, ihnen schadet. Essstörungen sind nicht logisch. Sie sind vernünftigen Argumenten lange nicht zugänglich. Menschen mit Orthorexie sind hier ganz besonders resistent. Sie sind absolut davon überzeugt, das Richtige zu tun und nicht von ihrem Weg abzubrigen, bis der Weg von selbst endet. Und enden tut er nie dort, wo sie doch eigentlich hin wollten. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir nicht nur ein aufmerksames Auge auf unser eigenes Denken und Tun haben, sondern auch auf das unserer Mitmenschen.

 Woran erkennt man Orthorexie?

  1. Das Ernährungsverhalten von Menschen mit Orthorexie ist jenseits von vernünftig und ausgewogen.

Ganze Nahrungsmittelgruppen werden gemieden oder stark reduziert. Es wird nichts gegessen, was auf bestimmte Art und Weise hergestellt wird. Es gibt eine offizielle oder inoffizielle Liste an Lebensmitteln, die keinesfalls mehr gegessen werden dürfen. Alle Familienmitglieder haben sich an dieses Dogma zu halten. Je weiter die Krankheit fortschreitet, umso weniger Lebensmittel sind noch erlaubt.

  1. Zwangsverhalten, das über die Lebensmittel-Wahl hinaus geht

Essen darf zum Beispiel nur auf bestimmte Weise mit bestimmten Gewürzen zubereitet werden. Es darf nur noch warm gegessen werden. Oder es darf nicht mehr abends gegessen werden. Es darf nichts mehr gebraten werdens. Es darf nicht vor Mittag gegessen werden oder nur noch einmal am Tag… usw. 

  1. Bewegungsverhalten:

Auch das, was als gesunde Bewegung anfängt, wird langsam aber sicher zur Besessenheit. Es muss eine bestimmte Anzahl von Stunden trainiert werden. Es müssen x km gelaufen werden, usw.
Es geht dabei nicht um die Regulierung des Gewichtes, sondern um die Kompensation des Gefühls, weniger Wert zu sein, zu weniger zu schaffen, nicht genug zu tun. Vor dem selbst gesetzten Ziel aufzuhören, wird als Versagen empfunden. Auch Regen, Kälte, Schmerzen und Müdigkeit gelten irgendwann nicht mehr als Grund, buchstäblich langsamer zu treten.

  1. Sonstige Zwänge:

Jede Art von Zwangsverhalten kann sich zu Orthorexie gesellen.

  1. Beschäftigung mit Ernährung:

Orthorexiker beschäftigen sich ständig mit ihrer Ernährung, damit, wo sie wann, was, am besten, einkaufen könnten und wie es am gesündesten zubereitet werden kann. Sie sind immer auf der Suche nach der perfekten Lösung. Sie sind irgendwann rund um die Uhr von diesem Thema okkupiert. Es werden Mikro- und Makronährstoffe gezählt und kombiniert, das Hirn wird zur Ernährungstabelle und das Thema dominiert Gespräche.

  1. Angst, etwas zu essen, das von anderen zubereitet wurde.

Wenn Menschen mit Orthorexie keine Kontrolle über die Inhaltsstoffe und Zubereitungsweise ihrer Nahrung haben, vermeiden sie Essen oder reagieren mit schlechtem Gewissen und der Angst davor, vergiftet oder geschädigt zu werden, wenn Vermeiden nicht möglich ist. Es folgen entsprechenden Wiedergutmachungsmaßnahmen, wie Fasten, um Angst und Gewissen zu beruhigen, um die Kontrolle wiederzugewinnen. Oft wird auch vor-gefastet, um die Angst vor einem bevorstehenden, unkontrollierbaren Essen zu kompensieren.

  1. Verurteilung anderer für deren Ernährung und deren Lebensstil

Wie schon geschrieben halten Menschen mit Orthorexie ihre Regeln für allgemeingültig und erwarten von ihrem Umfeld, dass es sich einfügt. Orthorexiker kontrollieren nicht nur ihre Ernährung, sondern sie versuchen, auch ihre Mitmenschen zu kontrollieren. Die anderen sollen ihnen die Richtigkeit ihres Verhaltens bestätigen, in dem sie es ihnen gleichtun. Lassen sie sich nicht kontrollieren, werden Mitmenschen oft gemieden.

 

Weitere körperliche und psychische Symptome:

  1. Gehäuft oder verstärkt auftretende Kopfschmerzen/Migräne, Brain Fog (benebelt sein), Konzentrationsschwierigkeiten

Das Gehirn braucht Kohlenhydrate, da es fast nur davon leben kann. Unsere neuronalen Funktionen hängen von einem stabilen Glucose Level ab. Schwankt der und/oder steht nicht genug Glucose zur Verfügung, kommt es zu Kopfschmerzen und Migräne.
Unser Gehirn braucht 60 % des Blutzuckers des Körpers, um seine Funktionen aufrecht erhalten zu können. Hat es diese Menge nicht zur Verfügung, weil der Körper im Hungerstoffwechsel ist, greift es auf die Vorräte in der Leber zurück, aber auch die sind limitiert. Danach wird Muskelsubstanz abgebaut und dann geht´s ans Fett. (Hungerstoffwechsel definiert sich nicht über das Gewicht oder die Menge, die wir essen, sondern über die Kalorien, die wir zuführen!)

Wenn das passiert, verwandelt die Leber das Körperfett in sog. Ketone. Es ist noch nicht ganz klar, was Ketone langfristig im Gehirn und im Körper bewirken. Aus Studien mit Anorexie Patienten wissen wir, dass ein Gehirn im Hungerszustand, also in Ketose, massiv an Funktionsfähigkeit einbüßt, zum Teil mit Konsequenzen, die nicht mehr heilen.

Leider wird die ketogene Diät von einigen Verfechtern momentan massiv propagiert. Tatsächlich ist das Pseudowissenschaft und Geldmacherei auf Kosten der Gesundheit anderer. Es gibt nur wenige medizinische Notwendigkeiten, die eine massive Reduktion von KH rechtfertigen, z.B. einige Formen der Epilepsie.

  1. Stimmungsschwankungen und Depressionen

Eine zu geringe Menge an Kohlenhydraten hat einen negativen Einfluss auf die sog. Glückshormone, insbesondere auf das Serotonin. Eine Dysbalance des Serotoninhaushaltes spielt eine große Rolle bei Depressionen. Abgesehen davon lässt die Obsession mit Ernährung bald kaum noch Raum für irgendetwas außerhalb dieses Denkens und Handelns. Das macht Stress und es isloiert.

  1. Müdigkeit bis hin zu permanentem Schlafdrang

Der Körper braucht Kohlenhydrate, um Tryptophan herzustellen. Diesen Botenstoff brauchen wir für einen gesunden Schlaf. Fehlt der, sind wir tagsüber müde, energielos und in schlechter Stimmung. Außerdem regiert der Körper im Hungermodus mit Symptomen, die einem Winterschlaf (Hibernation) gleichen, um Energie zu sparen und den Wärmehaushalt aufrecht erhalten zu können. Wenn die Müdigkeit unmittelbar nach einem Essen überhand nimmt, kann das ein Zeichen dafür sein, dass der Glukosestoffwechsel/Zuckerstoffwechsel schon stark in Mittleidenschaft gezogen wurde und die Insulinausschüttung nicht mehr optimal ausgleichend funktioniert.

  1. Energielosigkeit, Lustlosigkeit

Wir brauchen alle Nährstoffe, um unseren Körper voll funktionsfähig zu halten, selbst wenn wir gar nichts tun. Je mehr und anstrengender wir uns bewegen (oder nachdenken 😉), umso mehr Nährstoffe brauchen wir. Eiweiß, Kohlenhydrate und Fette sind essenziell, um Energie zu speichern und sie dann bereitzustellen, wenn sie gebraucht wird. Der Verlust von Muskelmasse durch zu geringe Energiezufuhr trägt wesentlich dazu bei, dass sich diese Menschen energielos fühlen.

  1. Isolation

Wer Angst hat, dass das Essen anderer seinen Ansprüchen nicht genügt, vermeidet soziale Interaktionen, denn sie sind oft mit Essen verbunden. Manche Orthorexiker treffen sich nur noch mit ihresgleichen, was das Gefühl verstärkt, alles richtig zu machen und die Erkrankung fixiert. Die Angst, aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden, ist für manche massiv spürbar. 

  1. Mundgeruch

Mundgeruch entsteht, wenn die Leber Fettzellen zerlegt, also bei zu geringer Kohlenhydratzufuhr. Der Atem riecht dann nach Azeton.

  1. Verdauungsprobleme (Durchfall, Verstopfung oder ein Wechsel aus beidem)

Zu viel Rohkost, zu viele Körner, zu viele Samen (Chia und Co.) packt der Mensch meist nicht gut und zu wenige Kohlenhydrate beeinflussen das Biom negativ.

  1. Menstruationsbeschwerden oder Ausbleiben der Periode/ Erektionsstörungen beim Mann

Ausreichende Zufuhr von Fett und Kohlenhydraten sind notwendig, um bei Mann und Frau die Hormonproduktion (Geschlechtshormone und Andere) zu gewährleisten und zu stabilisieren.

  1. Auffallender Gewichtsverlust bis hin zu Untergewicht. Dadurch besteht die größte Gefahr, dass Orthorexie in Anorexie übergeht. In jedem Alter und bei jedem Geschlecht!

Betroffene essen oft sehr viel und alle wundern sich, warum sie so dünn sind. Das liegt daran, dass das, was sie essen, meist eine sehr geringe Energiedichte hat, also wenig Kalorien. Tatsächlich ernähren sie sich trotz großer Mengen also meist weit unter ihrem Bedarf. Oder aber sie fasten ständig, um ihre „Ernährungssünden“ wieder gut zu machen. Bei genetischer Prädisposition kann das eine Anorexie auslösen.

  1. Heißhunger und Fressanfälle als biologische Rettungsmaßnahme des Körpers

Unser Körper ist stets bestrebt, sein Gleichgewicht zu erhalten. Bekommt er nicht, was er braucht (oder was wir eigentlich essen mögen, aber uns verbieten), sorgt er dafür, dass wir es ihm geben. Wir werden willenlos und essen große Mengen von dem, was wir uns vorenthalten haben. Dieses Stadium kommt irgendwann bei nahezu jedem Orthorexiker (so, wie bei fast allen restriktiven Essstörungen).

Ergreifen wir Gegenmaßnahmen (Fasten mit Darmreinigung/=Abführmittel, Erbrechen oder exzessiver Sport), kann das, neben massiven körperlichen Folgen, auch zu Bulimie oder Anorexie des Binge/Purge Type führen. Abgesehen davon halten diese Gegenmaßnahmen den Kreislauf von Verzicht und der kompensatorischen Völlerei aufrecht (= Binge- Restrict- Cycle). Der Stoffwechsel reduziert sich, Gewichtszunahme ist die Folge.
Und das ist ja wieder eine Bestätigung, dass man sich ungesund ernährt und ein Grund, zu fasten und sich einzuschränken.

  1. Verringerte Knochendichte, auch bei normalem Gewicht, auch bei Männern.

Bei einem Mangel an Kohlenhydraten zieht der Körper Kalzium aus den Knochen, um Übersäuerung entgegenzuwirken. Ermüdungsbrüche sind oft erste Anzeichen

  1. Muskelschmerzen und Sehnen Verletzungen

Muskeln brauchen vor allem Eiweiß und Kohlenhydrate für eine gute Funktionsfähigkeit.

Bei Nährstoffmangel bauen sie ab, Verletzungen heilen nicht mehr und Sehnen werden nicht mehr richtig geführt und versorgt. Das trifft besonders zu, wenn trotz Mangelernährung (in ketogener Stoffwechsellage) Sport getrieben wird (=RED-S relative energy deficite in sports). Dazu folgt auch bald ein Artikel.

  1. Vermehrte (Pseudo)unverträglichkeiten, die mit echten Unverträglichkeiten verwechselt werden.

When food intolerances appear and the patient has an eating disorder, then the primary reason for failing to tolerate these foods will be too little energy within the body available to produce adequate amounts of digestive enzymes.”

Je mehr man auslässt, umso weniger verträgt man. Umso weniger man verträgt, umso mehr lässt man aus. Durch diesen Teufelskreis hält sich Orthorexie selbst am Leben.
Pseudounverträglichkeiten heilen immer, aber der Prozess ist langwierig und schmerzhaft und braucht Konsequenz

Kohlenhydrate, Eiweiß und Fett sind unverzichtbar.

Über Kohlenhydrate habt ihr gerade schon viel gelesen.

Eiweiß ist notwendig für die Produktion wichtiger Enzyme, für die Heilung, das Wachstum und die Funktion aller Organe und allen Körpergewebes und für die Energiebereitstellung, wenn Kohlenhydrate nicht zur Verfügung stehen.

Fette sind ein effizienter Energielieferant. Fett schützt unsere Organe, sorgt für eine gleichmäßige Temperatur, hilft bei der Hormonproduktion und beim Zellwachstum. Fett stabilisiert den Insulinstoffwechsel und macht bestimmte Vitamine für den Organismus zugänglich. Dabei ist Fett nicht gleich Fett, aber das führt an dieser Stelle zu weit.

Neben den Makronährstoffen sind auch Mikronährstoffe, also Vitamine und Spurenelemente, in bestimmten Mengen und Zusammensetzungen für unseren Organismus lebenswichtig.
Wir können auf keinen Nahrungsbestandteil wirklich verzichten, ohne langfristig Schaden an unseren Körpern anzurichten, da auch die effektivsten Kompensationsmöglichkeiten limitiert sind!
Je nach Ernährungszustand und Stadium treten bei Orthorexie also dieselben Problematiken auf, wie bei allen anderen restriktiven Essstörungen, teilweise sogar noch massiver, da sie zu lange unbemerkt bleiben bzw. von den Betroffenen flasch eingeordnet werden, denn: Was nicht sein soll, das ist auch nicht.

 

 

Wer ist besonders anfällig für Orthorexie?

Orthorexie ist noch nicht ausreichend erforscht. Es sieht aber so aus, als würde Genetik hier eine eher untergeordnete Rolle spielen. Orthorexie ist vor allem falsch gelerntes, kompensatorisches und zwanghaftes Verhalten.

Obsessive Selbstkontrolle, Selbstbeobachtung und Selbstoptimierung sind das Ziel.

Das Verhalten, das zu Orthorexie führt, tritt oft unmittelbar nach einem belastenden, ängstigenden Ereignis auf, dass das Gefühl vermittelt, nicht mehr wirklich entscheidungsfähig zu sein.
Krankheiten, Trennungen, Jobverlust, der Tod oder eine schwere Erkrankung eines Angehörigen sind massive Trigger.
Bestimmte Sportarten, wie z.B. Bodybuilding, Ballett oder Kampfsport, die ein besonderes Ernährungsverhalten voraussetzen, gelten als Startschuss für diese Erkrankung.
Auch Menschen, die sich beruflich mit Gesundheit und Ernährung und den Folgen eines nicht optimalen Lebensstils beschäftigen, sind in gewisser Weise gefährdeter als der Durchschnitt.

Aus Angst und dem nachvollziehbaren Wunsch nach Sicherheit kann so aus einem gesunden Lebensstil eine Essstörung entstehen.

 

Persönlichkeitseigenschaften, die diese Essstörung fördern:

Besonders gefährdet sind perfektionistische Menschen, die sich keine Fehler erlauben

Menschen mit niedrigem Selbstwert, geringem Selbstbewusstsein und negativem Selbstbild

Menschen, die sehr entschlossen sind, fast schon verbissen

Menschen, die keine Grenzen setzen, auch nicht vor sich selbst

Menschen, die zu Übertreibungen neigen

Menschen, die zu zwanghaften Verhaltensmustern neigen

Ängstliche Persönlichkeiten

Und besonders sensible Menschen, die sich viele Gedanken machen über das Leben, sich selbst und ihre Mitmenschen.

Über Orthorexie bei Autisten habe ich nichts gefunden. Kennt ihr Autisten, die das haben, oder habt ihr es selbst? Für meine exekutiven Funktionen wäre Orthorexie viel zu kompliziert. ARFID oder andere restriktive Essstörungen sind aber kein bisschen besser!

Auch Orthorexie ist eine bio-psycho-soziale Erkrankung.

Lebensumstände, körperliche Reaktionen und Persönlichkeitsmerkmale wirken auch hier auf eine Art und Weise zusammen, die diese Erkrankung auslösen und aufrechterhalten. Die Behandlung von Orthorexie folgt den Richtlinien fast aller Essstörungen. Ich weiß, das wäre an dieser Stelle interessant. Die Themen Behandlung und Therapie sind aber so komplex, dass ihr Euch noch etwas gedulden müsst. Mehr darüber kommt nach und nach in den folgenden Artikel.

 

Fazit:

WICHTIG:

Nicht jeder, der Wert legt auf gesunde Ernährung und eine achtsame Lebensweise, ist gefährdet. Nicht alle, die sich vegan ernähren, haben Orthorexie. Bestimmte Fastenrituale sind nicht zwingend schädlich, wenn sie nicht der Kompensation dienen, nicht ständig durchgeführt werden und die Emotion dahinter nicht Angst ist.
Nur wenige, die sich besorgt äußern über die vielleicht nicht so förderliche Ernährung und Lebensweise eines nahen Menschen, haben Orthorexie. Es kommt wie gesagt immer darauf an, welche Gedanken und Emotionen unser Handeln antreiben, ob unser Verhalten noch im gesunden Bereich liegt oder eben nicht.

Wenn ihr Euch  in diesen Beschreibungen wiederfindet, egal ob im Vollbild oder nur in Ansätzen, zieht die Notbremse und/oder lasst Euch helfen, wenn es allein nicht mehr geht. Der Bratman Selbsttest ist unten verlinkt.

Essstörungen sind behandelbar und sie sind nichts, wofür man sich schämen muss. Auch nicht, wenn man ein Mann ist, oder erwachsen, oder in einem Beruf tätig ist, in dem eine derartige Problematik fast eine Verletzung der Ehre sein könnte.

Wendet Euch an jemanden, dem ihr vertraut und der nicht in diesen pseudogesunden Mustern steckt. Das kann der beste Freund/die beste Freundin sein, die Eltern oder Geschwister, der Partner/die Partnerin, sofern nicht selbst betroffen. Wenn ihr Euch nicht bei Euren Lieben outen wollt, geht zu einem für Essstörungen spezialisierten Zentrum,  Arzt oder Psychologen/Psychotherapeuten. Wartet nicht, bis ihr so weit in der Problematik hängt, dass ihr massive Folgeschäden spürt.

Wenn ihr jemanden kennt, der sich auffällig verhält, sprecht mit ihm/ihr und bietet Eure Hilfe an. Lasst Euch nicht entmutigen, wenn der Betroffene in den Widerstand geht.  Denkt daran, Orthorexie wird häufig in Gruppen und Familiengefügen fixiert. Sich trotzdem von dieser Erkrankung zu lösen braucht dann umso mehr Mut, Kraft und Zeit und jemanden, der da ist, wenn man diesen Weg geht. Sie kommen, wenn sie so weit sind, auch wenn das dauern kann! Das wichtigste ist, dass diese Menschen wissen, dass sie dann nicht allein sind.

Unter dem Text findet ihr ein paar Online Quellen von erfahrenen Eating Disorder Recovery Coaches, die weltweit Klienten betreuen und die ich persönlich sehr vertrauenswürdig finde.Wenn Ihr Adressen von deutschen Coaches habt oder selbst Experte/Expertin seid, bitte gerne bei mir melden.

Wo ihr mich findet, wenn ihr Unterstützung braucht, wisst ihr 😉 Life is for living, not for counting nutrients.

 

Links:

Video: Kayla´s Story

Steve Bratman

Orthorexia Self Test. Die Infos auf seiner Seite wurden seit 2017 nicht aktualisiert. Teilweise sind sie sogar ziemlich veraltet, der Test ist noch gültig.

Elisa, Recovery Coach

Sie war selbst von Orthorexie und anderen Essstörungen betroffen. Sie macht online Coachings und stellt viele Videos auf YouTube. Sie ist eine sehr nette, zugewandte und nicht wertende Person, der ihr auf jeden Fall vertrauen könnt.

Für Kayla Rose gilt dasselbe wir für Elisa. Sie ist meine Favoritin für alles rund um Essstörungen

Bei Seven Health findet ihr hervorragende Beiträge von einem Ernährungsspezialisten sowie Podcasts (real health radio) zu allen Themen rund um Essverhalten und Ernährung. Auch hier gibt es Coachingangebote.

Becky Freestone, Mit- Gründerin des Triple- R- Recovery- Centers, Info, YouTube und Coaching