Der Begriff „Enmeshment“ (Verstrickung) wurde geprägt durch den Familientherapeuten Salvador Minuchin. Enmeshment ist ein psychologisches Konzept, das Beziehungen mit unscharfen (Ich-) Grenzen und hoher Co-Abhängigkeit beschreibt. Diese Problematik kommt häufig in Konstellationen vor, in denen einer eine psychische oder körperliche Erkrankung oder ein Trauma hat, oder hatte und nicht vollständig gesundet ist. Man findet „enmashed Familys“ auch häufig in Großfamilien, die generationenübergreifend seit Jahrzehnten unter einem Dach leben und, als Normalzustand, in Kulturen, in denen es üblich ist, dass Familienmitglieder quer Beet sehr eng miteinander verwoben sind (Italien z.B.). Die ungesunde Form der Verstrickung kann jede Beziehungsart betreffen, also sowohl Partnerschaften als auch Mutter- Kind Interaktionen oder komplette Familien. Wir konzentrieren uns in diesem Artikel auf die Eltern- Kind- Ebene in Familien mit einem AN- Kind, wobei das Kind jegliches Alter haben kann. Ältere/ erwachsene Kinder leiden aufgrund ihrer kognitiven Reife besonders unter verstrickten Familiensystemen, weil ihnen irgendwann klar wird, dass etwas eklatant schief läuft in ihrem Leben. Verstrickung kann man an folgenden Eigenschaften erkennen:
- „Double-Bind“ Botschaften. Das bedeutet, das was jemand sagt, stimmt nicht überein, mit dem, was der-/diejenige meint. Oder die Körpersprache drückt etwas anderes aus als die verbale Botschaft. Das Gegenüber kann sich deshalb nur falsch verhalten. Trifft es Entscheidung a, geht es gegen die eigenen Bedürfnisse oder Einstellungen, trifft es Entscheidung b, verärgert es den anderen. Gleichzeitig wird erwartet, dass das Kind weiß, was der andere/das Elternteil fühlt, denkt oder ausdrücken will, die unausgesprochenen Regeln kennt und sich danach richtet. Beispiel: Mach, was Du für richtig hältst aber denk daran, dass das auch für uns Konsequenzen hat.
- Enmeshment fühlt sich für das Kind an als würde es die Familie (oder andere) hintergehen, wenn es die eigenen Bedürfnisse voranstellt und für sich sorgt.
- Das Kind fühlt sich schuldig und illoyal, wenn es „Nein“ sagt, wenn es einen Wunsch oder ein Bedürfnis der anderen ablehnt.
- Die Stimmung des Kindes richtet sich nach der Stimmung eins bestimmten Familienmitgliedes (meist der Mutter) oder der anderer Menschen. Ist die Mutter/die Freundin/der Freund/die Therapeutin schlecht drauf, überträgt sich diese Stimmung auf das Kind, das wiederum bald nicht mehr unterscheiden kann zwischen eigenen Emotionen und denen anderer. Das Kind fühlt sich zudem schuldig, wenn andere schlecht drauf sind. Nicht selten wird das verwechselt mit Hypersensitivity, mit Hochsensibilität!
- Das Kind hat das Gefühl, nicht gehört und gesehen zu werden, im Grunde nichts zu sagen zu haben, denn seine Bedürfnisse werden denen des Familiensystems untergeordnet.
- Das Kind hat das Gefühl, für die Stimmung anderer verantwortlich zu sein, sie „retten“ zu müssen vor deren Problemen, immer für gute Laune in der Familie sorgen zu müssen, nicht negativ auffallen zu dürfen.
- Das Kind ist emotional von anderen abhängig. Die eigene Emotionsregulation und ob diese gelingt, hängt vom Umfeld ab. Das Kind braucht emotionale Führung von außen.
- Starke Harmoniebedürftigkeit.
- Überdimensionale Kontrolle und Einmischung der Eltern in das Leben und die Entscheidungen der Kinder. Erwachsenen Kindern wird direkt oder subtil vermittelt, dass sie die Erlaubnis der Eltern brauchen, um für sich selbst entscheiden zu können. Die Lebensgestaltung des Kindes richtet sich nach den Vorstellungen und Wünschen der Eltern. Es kann sein eigenes Richtig oder Falsch nicht mehr spüren.
- Starker Fokus auf „was denken die Anderen“, wie wirkt das, was ich tue, auf die (Außenwahrnehmung der) Familie und des Selbst, da Eigenwahrnehmung und Autonomie schon früh untergraben werden.
- Neigung zu Angststörungen und Depressionen
- Die Gedanken der Eltern sind ständig beim Kind, bei dessen Gefühlen, Gedanken, Lebensgewohnheiten usw. Das Leben der Eltern dreht sich vornehmlich um die Belange des Kindes mit dem Fokus der Kontrolle (vor allem der eigenen Elternängste), auch wenn dies längst erwachsen ist und altersentsprechend eigenverantwortlich sein sollte.
- es dazu notwendig wäre, kompetent familientherapeutisch begleitet zu werden, um ein Bewusstsein für das Problem zu schaffen und Wege zu erarbeiten, es zu lösen. Hierfür fehlen Fachkräfte, die nach evidenzbasierten Methoden therapieren können.
- das kranke Familienmitglied und die Restfamilie getrennt werden müssten, damit jeder (vor allem das Kind) seine eigene Identität, sein unabhängiges Denken und seine Bedürfnisse finden kann. Es gibt viel zu wenig geeignete Therapieplätze (z.B. WGs) für AN- Betroffene, die meisten Kinder sind zu jung, um in eine eigene Wohnung zu ziehen und selbst, wenn das altersentsprechend möglich wäre, fehlen hierfür oft die finanziellen Möglichkeiten.
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