Neulich Nacht habe ich im Block gegenüber ein Paar gehört, dass sich angeschrien hat, bis die Polizei kam. ER hat geschrien, sie hat geweint. Es war nicht das erste Mal und sicher auch nicht das letzte. Dieses Er-eignis hat mich inspiriert, zwei Artikel darüber zu verfassen, wie sich Gewalt noch zeigen kann, jenseits des Klassikers der körperlichen Misshandlung.
Also habe ich gestern erstmal über emotionale Vernachlässi-gung geschrieben. Das ist schlimm genug. Aber schlimmer geht immer.
Sprechen wir heute über emotionale Gewalt. Während von emotionaler Deprivation vor allem Kinder und Jugendliche betroffen sind, trifft diese Form von Machtausübung vornehmlich (aber nicht nur) Erwachsene. Der größere Teil der Betroffenen ist weiblich. Nicht wenige stammen aus einem Elternhaus, in dem sie entweder bereits irgendeine Form von Gewalt erlebten oder wo Emotionen eben Mangelware waren.
Wie gesagt: Man gibt, was man bekommt. Leider auch im Negativen. Und das meist so lange, bis man verstanden hat, was schief läuft und bereit und mutig genug ist, sich zu verändern. Sich selbst, nicht den an-deren. Niemand kann einen anderen Menschen ändern. Das ist einer der fatalen Denkfehler, wenn es um Gewalt geht. Das Opfer glaubt viel zu lange, der Täter würde sich bessern, wenn ….
Nein, diese Täter ändern sich höchst selten.
Man findet die Dynamik emotionaler Gewalt vor allem in Beziehungsge-fügen. Tritt sie in Partnerschaften auf, spricht man von häuslicher Ge-walt, im Arbeitsbereich von Mobbing oder Bossing.
Das Opfer verwechselt Aufmerksamkeit mit Liebe, der Täter Macht mit Zuwendung. Beide haben ein schwaches Selbstbewusstsein und um ih-ren Selbstwert steht es nicht besser. Der Misshandelte weiß das und wendet sich einem Partner zu, der vermeintlich Stärke und Schutz aus-strahlt. Der meist narzisstisch veranlagte Täter hingegen braucht ein schwächeres Gegenüber, um sich durch seine Machtspielchen aufzu-werten.
Fertig ist die Gewaltspirale. Weil auch diese Form von Misshandlung wenig offensichtlich ist, kommt hier Hilfe ebenfalls meist zu spät.
Ich habe in meiner langjährigen Arbeit als Sozialpädagogin unzählige Frauen erlebt, denen es so erging, wie ich hier beschreibe. Jeder Ver-such, sich von ihrem Partner zu lösen, scheiterte an der negativen Wahrnehmung ihrer selbst und daran, dass sie buchstäblich isoliert und ausgehöhlt waren. Finanziell abhängig, ohne Freunde und soziales Netz, der Selbstwert am Boden- da reicht ein kleines „sorry“ vom Ehemann und schon wird verziehen. Tschüss Frauenhaus, hallo Hölle. Schafft man es nicht, emotionale Gewalt schon am Anfang im Keim zu ersticken und trennt sich das Opfer nicht schon bei den ersten Anzeichen, ist Ret-tung meist kaum noch möglich.
Betrifft es den Job, sind die Chancen auf Besserung größer. Doch auch hier gilt: Wer einen Boss oder eine Bossin hat, der/die mobbt: Geht. Egal, was es (buchstäblich) kostet. Alles ist besser, als sich dem auszusetzen. Ich hatte selbst zwei Chefinnen, die geradezu meisterhaft wussten, wie sie mich kaltstellen konnten. Auch ich habe zu lange gewartet, bis ich die richtigen Konsequenzen gezogen habe. Im Berufsleben ist es häufig so, dass Frauen andere Frauen klein halten wollen. Das Mann- Frau Verhältnis wird hier oft zu Unrecht verdächtigt, schwierig zu sein; viel-leicht entsteht dieser Bios aufgrund des Gleichstellungsgedankens.


Hier ein paar Merkmale emotionaler Gewalt:

Degradierung:
Betroffene werden vor anderen niedergemacht und abgewertet. Sarkas-tische Bemerkungen kommentieren, was sie tun und wie sie sind. Späße auf deren Kosten machen sie zur Lachnummer.


Dominanz:
Opfer seelischer Gewalt haben in ihrem eigenen Leben nichts mehr zu melden. Der Täter stellt die Lebensregeln auf. Der andere bestimmt, was sie dürfen und was nicht. Pläne werden niedergeredet und lächerlich gemacht. Die Opfer trauen ihren eigenen Entscheidungen nicht mehr und leiden unter permanenter Angst vor Fehlern.


Anschuldigungen:
Der Verursacher ist niemals schuld und kein Argument ist zu schade, um das zu verdeutlichen. Der kleinste Hinweis darauf, dass der Partner, Mitarbeiter o.a. falsch liegen könnte, kann zu massiven Wutausbrüchen führen. Das Opfer muss sich entschuldigen für Dinge, die es nicht getan hat.


Ignoranz:
Beleidigtes Zurückziehen, den anderen ignorieren, anstatt ein konstrukti-ves Gespräch zu suchen, ist eine gängige Methode der Erniedrigung. Man findet diese Art häufig in der Kindererziehung. Wenn das Kind in den Augen der Eltern etwas falsch gemacht hat, wird es ignoriert und mit nicht- Beachtung bestraft.


Co Abhängigkeit gibt es nicht nur bei Suchterkrankungen. Ein Opfer emotionaler Gewalt wird abhängig gemacht, seiner Eigenständigkeit be-raubt. Entscheidungen werden vom Täter getroffen. Nur er weiß, was der andere braucht und was gut für ihn ist. Das trifft Erwachsene und Kinder gleichermaßen. Wenn Eltern ihre Beziehungsprobleme auf ihren Kindern abladen, wenn Kinder Partnerersatz werden oder auch wenn Eltern sich in alle Belange der Kinder einmischen und permanent präsent sind in deren Leben, fehlt die wichtige Trennung zwischen dem ICH und dem Anderen. Das Opfer denkt, es kann nicht mehr ohne den anderen existieren. Und nicht nur das, es fängt an, das Verhalten des Täters zu entschuldigen!


Was kann man tun?
Nicht viel. Trennt Euch von Partner oder Job, solange Ihr noch genug Kraft und Mut habt.
Schreibt auf, was vorfällt und wann. Das zu verschriftlichen kann nütz-lich sein, wenn Ihr Unterstützung von z. B. Behörden braucht. Es macht Euch außerdem deutlich, wem und was Ihr Euch da aussetzt.
Vertraut Euch jemandem an. Es sollte kein Familienmitglied sein, denn es sind immer alle betroffen. Wendet Euch nicht an Eure Kinder. Kinder, auch erwachsene, haben ein eigenes Verhältnis zum jeweiligen Elternteil und sollten nicht zu Verbündeten gemacht werden. Geht in eine Selbsthilfegruppe und/oder sucht Euch eine/n Therapeuten, der/die auf Gewalt spezialisiert ist.
Wenn´s gar nicht mehr geht, ruft beim Sozialdienst an und macht einen Termin. Lasst Euch beraten, welche Möglichkeiten Ihr habt. In Deutsch-land sind wir gut aufgestellt. Es gibt auch Lösungen für die finanziellen Nöte.
Wird der Partner nach einer Trennung zum Stalker, kann ein Näherungs-verbot ausgesprochen werden. Mit einer langen Geschichte emotionaler Gewalt geht das meist problemlos. Es ist keine Garantie für vollständi-gen Schutz, aber besser als nichts.
Wenn Ihr als Angehörige oder Freunde mitbekommt, dass ein Paar die-ses Problem hat, kommt bitte nicht auf die Idee, das Thema öffentlich zu machen oder den Täter persönlich darauf anzusprechen. Er wird es später an seiner Partnerin auslassen, sie ist geplagt genug.
Signalisiert dem Opfer, dass Ihr seht, was da läuft und dass Ihr da seid, wenn er/sie Hilfe braucht. Das aber bitte auch nur, wenn Ihr dann wirk-lich da sein könnt. Eine weitere Abweisung in der Not könnte der be-rühmte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Bleibt nur noch: Passt auf Euch auf!