Die Angst vor dem Geldausgeben, das hungrige Gehirn und was sonst noch dahintersteckt.

Bandelow (zur Finanzkrise): Da werden Banker, die sonst völlig rational ihre Kurse rauf- und runterschieben, plötzlich von Emotionen befallen. Man kann diese Verhaltensänderung auf den banalen Gedanken zurückführen, dass sie plötzlich Angst vor dem Verhungern haben. Wann immer ein Tier vor dem Verhungern ist, läuft nichts mehr über das Vernunftsystem. Diese Urangst des Verhungerns steckt auch bei den Menschen hinter der Verlustangst um das Geld.“

Mit diesem Zitat ist im Grunde der Zusammenhang zwischen Anorexie und der häufig damit verbundenen Angst davor, Geld auszugeben, schon erklärt. Ein hungriges Gehirn und/oder ein Gehirn, das restriktiv denkt, seinem Menschen also nichts gönnt, ihn nicht essen lässt, was er will, wann er will und so viel er will, ist im Überlebensmodus. Der alte Teil unseres Gehirns glaubt, dass eine Hungersnot herrscht, selbst dann, wenn wir neben einem Einkaufszentrum wohnen.

So werden viele, die von diesem Zustand betroffen sind, zu kleinen Dagoberts: Sie horten Lebensmittel, Dinge, Geld. Nutzen tun sie all das erst wieder, wenn das Mammut erlegt ist oder, übertragen auf die heutige Zeit, das Schnitzel ohne Panik gegessen werden kann. Wenn also im Körper wieder ausreichend Energie vorhanden ist und das Verhalten dem Hirn signalisiert: Die Hungersnot ist vorbei, und zwar ein für alle Mal. Der zweite Teil dieses Satzes ist gleichermaßen wichtig, da restriktives Denken enden muss, um limitierendes Verhalten auflösen zu können.

 

Doch warum sind nicht alle AN von dieser Angst betroffen? Und auch Menschen ohne diese Erkrankung?

Die Antwort auf diese Fragen liegt in unserer Sozialisation. Die Art und Weise, wie wir aufwachsen, was wir über Geld und den Umgang damit lernen, welche Glaubenssätze sich in unseren Kindertagen in unseren Gehirnen festgesetzt haben, spielen eine mindestens genauso große Rolle dabei, ob sich diese Angst entwickelt oder nicht, wie das hungrige Gehirn.

Viele partnerschaftliche Konflikte drehen sich ums Geld. Der eine geht locker mit Finanzen um, während der andere ein Sparfuchs ist, und beide kommen hier nicht auf einen Nenner. So lange, bis sie sich einmal darüber unterhalten, mit welcher Einstellung zum Geld sie aufgewachsen sind und damit ein Verständnis füreinander herstellen können.

Diejenigen, die locker, großzügig im Denken und Handeln aufgewachsen sind, zuversichtlich, dass es schon reichen wird und wenn nicht, es schon irgendwie weitergehen wird, spüren keine Angst, zu verarmen, wenn der Dispo mal in Anspruch genommen werden muss oder mal etwas auf Kredit gekauft wird.

Die anderen, die im Elternhaus häufig gehört haben, dass gespart werden muss, dass es wieder knapp werden könnte, dass man sich xy nicht leisten kann, dass Leute, die zum Sozialamt müssen, Minusmenschen sind usw., die lernen, dass Überleben ohne Geld nicht geht und man besser nicht in diese Situation kommen sollte.

Dann haben wir noch das Generationentrauma, das nicht zu unterschätzen ist. Viele jetzt Erwachsene im Alter zwischen 50 und 60 sind mit Eltern aufgewachsen, die Flucht und Vertreibung erlebt haben. Die Hunger gelitten haben, alles verloren haben und neu anfangen mussten. Diese Eltern haben ihren jetzt erwachsenen Kindern oft vermittelt, dass Geld zwar nicht alles ist, es aber ohne verdammt schwer wird im Leben. Dass es wichtig ist, immer einen Notgroschen zu haben und niemals über seine Verhältnisse zu leben. Was in manchen Fällen, wenn die Eltern ihre eigene Geldangst nie losgeworden sind, auch heißen kann: Das Polster auf dem Girokonto darf nie unter einen Betrag sinken, von dem so manch einer nur träumen kann. Dieses Mindset und das genetische Erbe dieser Ängste geben die Kinder dieser Eltern dann weiter an deren Kinder und so setzt sich die Angst vor dem Geldausgeben über Generationen hinweg fort.

Auf der anderen Seite erleben manche Kinder daheim, wenn Geld für Dinge ausgegeben wird, die eigentlich kein Mensch braucht. Egal, ob man es hat oder nicht, der Status muss stimmen. In diesem Fall kann es schon mal sein, dass aus diesen Kindern verschwenderische Erwachsene werden, die nicht mit Geld umgehen können. Geld- Angst haben die allerdings keine.

Summa summarum: Charaktermerkmale, Erfahrungen und das entsprechende Verhalten der Eltern vererben und übertragen sich auf die Kinder, und machen auch vor dem Thema Geld nicht halt.

Angst davor, dass etwas Schlimmes passiert, wenn man Geld ausgibt, hat multifaktorielle Ursachen, die tatsächlich schwer aufzulösen sind. Selbst nach Heilung einer AN kann diese Angst bleiben, wenn die tief eingegrabenen und in der Regel unbewusst wirkenden Glaubenssätze nicht aufgelöst werden können. Und das ist sehr schwer.

Man kann üben, das limitierende Denken zu öffnen, indem man eben nicht immer nach dem Sonderangebot greift, sich auch einmal etwas gönnt, das kauft, was man möchte und nicht das, was billig ist, gemäß dem Prinzip: Iss das, was Du willst, nicht das, was wenig Kalorien hat oder „gesund“ ist. Die Voraussetzung für diese Übung ist natürlich, dass man es sich auch leisten kann. Wer eine Anorexie hat und gleichzeitig sparen muss, weil das Geld faktisch knapp ist, hat möglicherweise berechtigte Ängste, Geld auszugeben und sollte dann in anderen Bereichen üben, sich selbst gegenüber großzügiger zu denken und zu handeln, um das loszuwerden, was im Falle einer AN hinter den meisten Ängsten lauert:

Die Angst vor Kontrollverlust und dem „zu viel“ in allen Lebenslagen.