Warum Kilos nicht zählt

 

Anorexie ist nicht gleich dünn, schlank ist nicht gleich gesund und fülliger ist nicht gleich undiszipliniert und krank.

Folgende Geschichte:

Susanne, 25 Jahre alt, kämpft seit ihrem 16 Lebensjahr mit Anorexie.  Als Kind und Jugendliche lag ihr Gewicht einige Kilos über dem Durchschnitt. Sie nahm damals innerhalb kurzer Zeit über 20 % ihres Ausgangsgewichtes ab. Alle fanden das super. Keiner, weder Freunde, Familie noch ihre Ärzte, kamen auf die Idee, Susanne könnte magersüchtig sein, denn sie sah nicht so aus. Im Gegenteil. Sie verkörperte das Ideal einer gesunden jungen Frau, um das sie viel beneidet wurde. Sport, Diät, Disziplin, jeder will es, wenige schaffen es.

Susanne ist groß, schlank, durchtrainiert. Sie hat ein hübsches Gesicht- und einen Modellvertrag.

 Sie strahlt von den Titelseiten bekannter Magazine und ist dem Tod näher als dem Leben.

Das ist eine wahre Geschichte, ähnlich, wie sie vermutlich viele von Euch erzählen könnten.

Schauen wir mal kurz ins DSM.

  • Demgemäß hat man Anorexie, wenn man sich weigert (Anorexie ist keine Trotzreaktion), ein altersentsprechendes Gewicht zu erreichen oder zu halten.
  • Wenn man Angst davor hat, dick zu werden, trotz Untergewicht.
  • Wenn man seinen Körper nicht so sieht, wie er ist.
  • Wenn die Periode ausbleibt.
  • Man ist der restriktive Typ, wenn man zwar hungert, aber keine Fressanfälle hat und keinen sonstigen Maßnahmen ergreift, die das Gewicht niedrig halten sollen.
  • Man ist der Binge-/Purge Typ, wenn man Fressanfälle hat und auch sonst alles tut, um eine Gewichtszunahme zu vermeiden.

Was ist jetzt aber, wenn eine Frau oder ein Mann nicht in diese Definitionen passt, sondern dem Bild unseres Modells entspricht?

Nicht untergewichtig, vielleicht nicht mal eine Körperschemastörung, Frau hat nach wie vor ihre Periode und das Verhalten, das Anorexie begleitet, ist das, was doch irgendwie jeder tut.

Vielleicht kommen Betroffene noch nicht einmal selbst auf die Idee, betroffen zu sein, denn sie fühlen sich nicht dünn genug, nicht krank genug. Vielleicht empfinden sie ihr Verhalten nicht mal außergewöhnlich, weil sich doch jede/r so verhält!

Patienten mit höherem Körpergewicht aber anorektischen Verhaltensweisen fallen in die Kategorie der atypischen Anorexie oder der nicht näher bezeichneten Essstörungen. Leider ist dieser Bereich eine Unterkategorie, eine „Ausweichlösung“, die selten hilfreich ist, Betroffene wirklich zu erkennen und vor allem, ihnen Zugang zu adäquater Behandlung zu gewähren.

Magersüchtige, die nicht mager sind, laufen unter dem Radar.

Ich fasse zusammen:

Aussehen ist kein Leitfaden- und das, was Anorexie Patienten erzählen, auch oft nicht, denn diese Krankheit will nur eins: bleiben! Ärzte müssen also viel wissen, ausreichend erfahren sein und gut zuhören, um in einem normalgewichtigen Patienten eine Essstörung zu vermuten.

Anorexie bedeutet (u.a.) Energiedefizit, nicht niedriges Gewicht. Jeder Mensch, egal wie schwer oder leicht er ist, ist im Energiedefizit, wenn er sein natürliches Körpergewicht unterdrückt, sei es, indem er zu wenig isst, sich zu viel bewegt und nicht entsprechend dem Verbrauch isst, oder Sonstiges tut, um „schlank“ zu bleiben.

Ein Mensch kann, gemessen an der Durchschnittsbevölkerung, statistisch übergewichtig sei. Wenn aber der eigene Körper natürlicherweise ein höheres Gewicht braucht, um gesund zu sein, ist er untergewichtig, gemessen an dem, was seine Genetik vorgesehen hat.

Unsere Genetik bestimmt unser Körpergewicht, nicht das gesellschaftliche Bild, wie wir aussehen sollten.

Fazit: Essstörungen erkennt man nicht am Gewicht!