Anorexie und wie man sie loswird:

Eine Anleitung

Vorwort: Die folgende Recovery-Anleitung kann von allen genutzt werden, die einen Weg aus der Anorexie suchen, und von denen, die Betroffene begleiten. Ansprechen tue ich diejenigen, die selbst an Anorexie erkrankt sind. Ich bitte zu berücksichtigen, dass Kinder ein abgewandeltes Konzept brauchen, ein aggressiveres Vorgehen mit weniger oder gar keiner Mitsprache in der Anfangsphase, aus zwei Gründen: Kinder sind entwicklungsbedingt noch nicht in der Lage, weitreichende Entscheidungen zu treffen und Konsequenzen einzuschätzen. Schon gar nicht während einer Anorexie. Bei Kindern müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um sie schnellstmöglich von der Anorexie zu befreien, um eine Chronifizierung zu verhindern.

Welches Alter meine ich mit Kindern? Alles unter 15 Jahren. Ab der Pubertät wird der Widerstand gegen Heilung leider größer, aus verschiedensten Gründen, die aufzuzählen und dafür Lösungen zu entwickeln, den Rahmen hier sprengt. Die natürliche Abgrenzung von Eltern und Autoritätspersonen trifft auf die Angst, die AN loszulassen. Rigides Vorgehen, Zwang und Bestrafung führen dann leider oft eher zu einer Verfestigung der Erkrankung, anstatt zu einer Heilungsmotivation. Der folgende Ansatz kann also auch für pubertäre Betroffene eine Hilfe sein.

Einführung:

Ich werde hier Punkte anführen, die ihr hassen werdet. An mancher Stelle wird euer Widerstand bei 100% sein. Da, wo der Puls hochgeht, die „Stimme“ laut wird und ihr am liebsten einen Auftragsmörder nach München schicken würdet, da sitzt eure AN.

Merke: Die AN ist da, wo der Widerstand ist. Der Widerstand ist da, wo die Angst ist. AN ist vornehmlich eine Angsterkrankung!

Wer den folgenden Text relaxed lesen und alles darin easy umsetzen kann, der hat entweder ein anderes Problem oder ist (wieder) gesund. Niemand kann euch zwingen, die AN ins „land of no return“ zu schicken. Niemand kann diese Entscheidung für euch treffen, und nur ihr selbst könnt das Schwere tun, um ein Leben nach der AN zu erreichen. Manchmal ist der Anspruch der Eltern, Ärzte, Freunde, Therapeuten und Coaches, heilen zu müssen, exakt das, was euch daran hindert. Denn das bringt den Widerstand eures von der AN infiltrierten Gehirns zum Glühen. Die AN gehört euch, und ihr entscheidet.

Merke: Ihr könnt damit leben. Geht. Sogar ziemlich lange, aber nicht ziemlich gut.

Ihr könnt in diesem Zustand viele Dinge tun, die euch von Außenstehenden vielleicht abgesprochen werden, weil das niemand in so einem Zustand hinbekommen würde, es sei denn, er hat eine AN. Die Frage ist: Mit welcher Qualität lauft ihr da durch eure Existenz?

Manchmal – und das mag seltsam klingen – ist es tatsächlich so, dass die AN ein Leben überhaupt erst möglich macht. Sehr viele Betroffene sind schlichtweg lost without. Und das müssen wir anerkennen. Es heißt immer, es gibt nicht den richtigen Zeitpunkt für Recovery. Der richtige Zeitpunkt sei immer jetzt. Ich sehe das anders (außer bei Kindern). Es gibt viele Momente, in denen man noch nicht bereit ist, weil von außen aufgezwungen und/oder in Lebensabschnitten, die so einen Schritt unmöglich machen. Für die meisten Erwachsenen kommt aber irgendwann der Zeitpunkt, an dem der Gedanke reift, wie es sein könnte, ohne. Dann braucht es noch eine Weile, bis innerlich der Startschuss zur Veränderung fällt. Wenn ihr den hört, soll euch der folgende Text helfen, eure Ziele zu erreichen.

Wenn ihr eine vollständige Remission erreichen wollt, müsst ihr das, was hier geschrieben steht, umsetzen, ausnahmslos jeden Tag, egal was ist und egal was kommt. In Krankheit und Gesundheit, im Urlaub, nach Zahn-OPs, bei Stress aller Art. Und zwar bis zu zwei Jahre post-recovered. Manches für immer. Ihr müsst euch absolut dazu bereit erklären, eurer AN den Kampf anzusagen und ihr die Kontrolle zu nehmen. Verabschiedet Euch von dem Gedanken, selbst die Kontrolle zu haben über die AN.

Merke: Die AN hat die Kontrolle über euch, nicht andersherum!

Beweise? Bevor ihr weiterlest, holt euch ein Eis und esst es. Notfalls an der nächsten Tanke. Jetzt.

Und? Habt ihr das Eis geholt? Konntet ihr es mit Genuss essen? Oder ging schon beim Gedanken daran der Puls auf 150? Ihr habt keinen Hunger, weil gerade gegessen? (Ein Knäckebrot, das so lecker schmeckt.). Ihr konntet das Eis zwar essen, esst aber dafür nichts mehr für den Rest des Tages. Ihr habt es geholt, aber dann last Minute weggeworfen? Ach so, es gab keine vegane Variante – und überhaupt mögt ihr kein Eis! Klar.

Wenn ihr die Kontrolle habt, könnt ihr jederzeit ein Eis essen, ohne beschleunigten Herzschlag, ohne Ausreden, ohne Panikattacke und ohne schlechtes Gewissen. Ihr könnt es sogar essen, wenn ihr es tatsächlich nicht mögt. Wenn nicht, ist Kontrolle eine Illusion! Meine Lieben, die AN hat euch im Griff.

Was passiert, wenn ihr die Kontrolle über euer gesundes Selbst zurückerobert?

Ihr bekommt euer Gehirn zurück, könnt an andere Dinge denken als an Essen, Kalorien, Sport und Vermeidung. Ihr bekommt eure Freunde zurück oder findet neue. Euer Familienleben wird sich eklatant verbessern, egal, was eure AN mit eurer Familie angerichtet hat. Ihr werdet viel besser schlafen, nachts. Ihr werdet viel weniger schlafen, tags. Ihr müsst nicht hundert Mal pro Stunde pinkeln. Eure Periode kommt zurück (Frauen). Eure Haare werden wieder dick und schön. Ihr seid nicht mehr blau an Händen, Füßen und Lippen. Ihr friert nicht mehr. Sitzen tut nicht mehr weh. Obsessive Gedanken und Zwangshandlungen gehen weg. Ihr könnt spontan sein. Ihr könnt essen gehen. Ihr könnt Urlaub machen, ohne ständig an die Bewältigung der nächsten Mahlzeit zu denken oder daran, wann ihr euch ins Fitnessstudio absetzen könnt. Euer Körper erholt sich, zumindest das meiste. Euer Leben wird lebenswert sein. Was das bedeutet, werdet ihr wissen, wenn ihr angekommen seid.

Wenn sich das erstrebenswert anhört, dann los:

Ich gehe davon aus, dass ihr alle ziemlich gut darin seid, die Regeln der AN zu befolgen. Regeln dürften also kein Problem sein. Macht das jetzt zu eurem Vorteil. Befolgt die Regeln, die euch aus der Krankheit helfen.

Und die sind wie folgt:

Phase 1:

Sucht euch eine/n Verbündete/n, einen Buddy, im Kampf gegen die AN. Eine Verbündete (kann auch ein Mann sein, egal, gendern nervt, sorry) ist der Game-Changer im Kampf gegen eure AN. Ja, ich weiß. Ihr erzählt euch x-Mal am Tag, ihr könnt es allein und ihr könnt niemandem vertrauen.

Merke: Ihr könnt allen vertrauen, außer euch, wenn es um Essen, Aussehen und Gewicht geht.

Ihr schafft das nicht allein; die AN ist eine Erkrankung eures Gehirns, das euch grundsätzlich in die falsche Richtung schiebt, weil es nicht mehr richtig funktioniert. Es macht euch Angst vor dem, was euer Leben sichert: Essen. Ist daran irgendwas logisch? Nein. Und das, meine Lieben, ist der Kern dieser Krankheit. Ihr könnt nicht mehr richtig entscheiden beziehungsweise die Entscheidungen für all das, was gut für euch ist, nicht mehr umsetzen – selbst dann nicht, wenn ihr wolltet. Ihr habt alle schon gemerkt, dass ihr euch vornehmt: Heute wird alles anders. Heute esse ich… Und dann stellt ihr fest, dass da irgendwas in euch ist, das stärker ist als euer Wille. Die AN! Genau das macht das AN-Buddy-Modell so erfolgreich.

Merke: Ihr braucht unbedingt jemanden von außen, der euch gegen die AN hilft! Wer keinen AN-Buddy hat oder das Konzept ablehnt, hat massive Nachteile.

Wer kann Euer AN-Buddy sein?

Es sollte jemand sein, der euch vor der AN kannte oder der euch supergut kennt, um alle AN-Verhaltensweisen zu erkennen und zu benennen. Jemand, der immer da ist, nicht nur mal einen Tag pro Woche. Eine gute Freundin, der Ehemann, der beste Freund, beste Freundin – tatsächlich am erfolgreichsten sind Eltern oder Großeltern. Not nice, ich weiß, aber wer heilen will, muss da durch. Niemand kennt euch so gut wie eure Eltern. Wer die Möglichkeit hat, sollte unbedingt darüber nachdenken, für die Zeit der Gewichtswiederherstellung und/oder der ersten Schritte nach Hause zu ziehen, sofern ihr nicht noch daheim wohnt. Wer gar niemanden hat, der braucht Essen, das portioniert vor euch steht. Essen auf Rädern, eine Kantine, die alle Mahlzeiten anbietet, die Fähigkeit, vor und mit anderen zu essen, oder einen Coach, der Meal-Support anbietet, am besten vor Ort. Das kostet allerdings eine Menge. Klinik ist auch eine Option, muss aber gut überlegt sein. Man braucht sehr viel innere Reife, um die Klinik rein für das Refeeding zu nutzen und den Rest an sich abprallen lassen zu können. Anderes Thema, muss aber hier erwähnt werden.

Merke: Mama und Papa oder Oma und Opa sind die beste Wahl, auch für Erwachsene.

Welche Eigenschaften hat Euer Buddy?

Er muss vor Ort sein. Er muss Konflikte aushalten können, muss euch mit euren Essverhaltensweisen konfrontieren können, muss standhaft bleiben und konsequent sein. Dieser Mensch muss euch konstant auf die Nerven gehen können und euch jede Sekunde darauf hinweisen, wenn ihr in eure Muster zurückfallt. Und er sollte kochen können, etwas von Ernährung verstehen oder bereit sein, darüber zu lernen. Denn er wird euch eine ganze Weile alles, was ihr essen müsst, zubereiten und vor die Nase setzen.

AN Buddy-Aufgaben:

So lange ihr nicht in der Lage seid, ausreichend und regelmäßig zu essen, ist die Aufgabe eures Buddys u. a., euch alle sechs Mahlzeiten zuzubereiten, zu portionieren und beim Essen dabei zu sein, einschließlich Fear-Foods!
Hinweis: Er/sie muss nicht dasselbe in denselben Mengen essen wie ihr. Das mag die Essstörung nicht. Und genau darum machen wir das. 😉

Essverhaltensweisen werden angesprochen, und euer Buddy hilft euch dabei, sie sein zu lassen.

Ziele in Phase 1:

– Essverhaltensweisen außerhalb des Essens identifizieren – Gewichtswiderherstellung erreichen und halten – Niemals eine Mahlzeit auslassen (3 Hauptmahlzeiten, 3 Snacks) – ausreichend essen bei den Mahlzeiten – Vollfettprodukte essen – keine Ersatzprodukte essen – nicht vegan essen – Fleisch essen – Schlafroutine etablieren – Fear-Foods challengen/exponieren.

How To:

Erstellt eine Liste eurer essgestörten Verhaltensweisen: Setzt euch mit eurem Buddy zusammen und macht eine Liste mit euren essgestörten Verhaltensweisen. Alle müssen drauf! Lasst nichts von dem Mist aus, den ihr täglich und seit Jahren macht und den ihr loswerden müsst. Hört auf euren Buddy. Er ist objektiver als ihr. Hört auf, mit ihm zu diskutieren.

Merke: Hört zu, schluckt es und ändert es!

Es kann sein, dass ihr ganze Seiten vollschreiben werdet, das ist normal.

Ein paar Beispiele?

– Trinken statt Essen – Trinken vor dem Wiegen – Essen verstecken – Essen wegwerfen – Essen kleinschneiden – Langsam essen – Immer vom selben Geschirr essen – Immer zur selben Zeit essen – Nur abends essen – Nur essen, wenn ihr Sport gemacht habt – Nur allein essen – Immer dasselbe essen – vornehmlich Proteine essen – Vegan essen – usw. Clusterfuck!

Nicht so ganz offensichtliche Essstörungsverhaltensweisen nicht vergessen:

– Stehen statt Sitzen – Rennen statt Gehen – Kochbücher lesen – für andere kochen und selbst nicht essen – Kein Geld ausgeben können – Selbstverletzendes Verhalten – Nicht heizen – absichtlich frieren – ständig in der Sauna/Wanne sitzen und glauben, davon abzunehmen – Lügen. Das ist ein Biggy! Keiner mag das, alle machen das. – Ständig die Wohnung putzen (lower-level-Movement) – Alles zu Fuß machen – überhaupt: Sport. Ist klar, Ihr liebt Sport. Die Essstörung noch viel mehr!

Identifiziert euer Verhalten, findet heraus, was euch daran hindert, es zu lassen Merke: Lasst es (auch, wenn ihr nicht herausfindet, was euch daran hindert!)

Ihr und euer Buddy unterschreibt die Liste, hängt sie sichtbar auf und ihr schaut sie täglich mindestens dreimal durch, egal, wie viele Seiten, und streicht durch, was ihr dauerhaft lassen könnt. So lange, bis nichts mehr draufsteht!

Phase 2:

Gewichtszunahme/Bekämpfung der Mangelernährung: Essen (jeah).

Anorexie beeinträchtigt den Teil in eurem Gehirn, der euch sagt, was eine angemessene Menge ist und was lecker ist (komisch nur, dass das kein anderer lecker findet). Ihr könnt euch nicht vertrauen, Leute. Vergesst das!

Merke: Ihr wisst nicht, was genug ist. Ihr tendiert konstant und konsequent zu (immens) zu wenig! Beim Essen und beim Gewicht.

Das passiert automatisch, wenn es nicht von außen korrigiert wird. Essen ist Medizin. Ihr müsst ausreichend essen, und euer Buddy weiß, wie viel ausreichend ist.

Merke: Ihr wisst nicht, was genug ist! Egal, was die Essstörung Euch erzählt.

Es wird vermutlich viel mehr sein, als ihr je gegessen habt, und viel mehr als andere essen.

Merke: Erst essen, dann denken – so kommt ihr da durch!

How To:

Erstellt eine Fear-Food-Liste, analog der Verhaltensliste. Mit eurem Buddy. Auch die unterschreibt ihr und arbeitet sie ab. Euer Buddy stellt sicher, dass Fear-Foods in die Mahlzeiten integriert werden. Ihr könnt mitreden, aber es wird nicht diskutiert – entweder A oder B, aber es wird nicht diskutiert, ob und wann. Fear Foods müssen immer wiederholt werden, sonst habt ihr plötzlich wieder Angst. Aufgabe des Buddys ist es, dies zu gewährleisten, bis alle Fear-Foods sicher weggegessen sind.

Achtung:

Zum Thema Veganismus und Essstörung habe ich schon genug gesagt. Es geht nicht zusammen, egal, wer euch was erzählt. Lasst es! Es wird euch irgendwann auf die Füße fallen. Wenn ihr vegan lebt und im „Normalgewicht“ seid, aber die Periode nicht kommt: Guess what! Oder die Depression nicht weggeht: Guess what! Oder die Unruhe nicht besser wird: Guess what!

Wenn ihr glaubt, irgendetwas nicht zu vertragen, kann das eine Pseudo-Unverträglichkeit sein, weil ihr es lange nicht gegessen habt. Esst es. Regelmäßig. Auch wenn es anfangs unangenehme Wirkungen hat. Erst nach ca. 10 Wochen könnt ihr sagen, ob ihr das wirklich nicht vertragen könnt. Dann lasst es testen. Erst dann.

Sport ist ein Teil der Essstörung, zumindest bei den meisten. Wenn euch der Gedanke, Sport nicht mehr ausüben zu dürfen, fast mehr Angst macht als zu essen: Bingo. Lasst den Sport bleiben, bis ihr aus der Essstörung raus seid. Sport als Vermeidungsverhalten ist der Grund dafür, dass ihr davon Abstand nehmen solltet, weniger die Tatsache, dass man dabei Kalorien verbrennt. Das auch, denn das Energiedefizit ist der Treiber der AN. Aber da hilft sich der Körper, indem er die Energie, die Ihr beim Sport verbraucht, nahezu nullt.

Merke: Sport: Schlaues Kerlchen, so ein Körper! Energiesparmodus beim Sport führt zu noch mehr Sport. Es ist das Vermeidungsverhalten bzgl. der Gewichtszunahme, das die Probleme mit Sport definiert.

Definiert ein Zielgewicht und haltet euch an folgende Regeln:

Gewichtszunahme ist eine eurer schwersten Aufgaben, weil die Angst vor der Zunahme das Hauptsymptom der AN ist. Da sitzt die Angst. Daher das Vermeidungsverhalten. Definiert ein Zielgewicht. Leider haben wir nur den BMI, aber irgendetwas müssen wir als Maßstab nehmen. Das Zielgewicht liegt bitte im mittleren BMI, nicht im unteren! Wenn ihr untergewichtig bzw. mangelernährt seid, funktioniert der denkende Teil eures Gehirns nicht so, wie er sollte. Was ihr aber nicht merkt! Vor allem nicht, wenn es ums Essen geht. Leider ist der alte Teil des Gehirns von der Essstörung besonders betroffen; entsprechend laufen Fight, Flight, Freeze und Fawn (People Pleasing) auf Hochtouren. Ihr seid permanent im Stress, und Stress verhindert Logik – dazu das hungrige Gehirn.

Merke: Ihr könnt eurem eigenen Urteil während der Mangelernährung nicht trauen.

Wenn ihr die volle Funktion eures Gehirns wiederhaben wollt, müsst ihr ein normales Gewicht haben (das richtige Gewicht für euren Körper). Wenn ihr untergewichtig seid, ist egal, wie viel ihr esst – es ist nicht genug! Je schneller ihr normale Portionen esst, euer Vermeidungsverhalten sein lasst und eure Fear-Foods abesst, umso schneller seid ihr aus dem Gröbsten raus!

Merke: Wenn ihr nicht untergewichtig seid und restriktiv esst (nicht das, was ihr wollt, und nicht genug), ist das trotzdem eine restriktive Essstörung!

Ihr müsst drei Mahlzeiten und drei Snacks essen und das beibehalten für den Rest eures Lebens, egal, was passiert. Während der Recovery sind Gemüse, Obst und Co. nicht das, was ihr hauptsächlich auf eurem Teller habt. Kohlenhydrate, tierische Fette und eine angemessene Portion Eiweiß müssen es sein. Je „ungesünder“, umso schneller seid ihr sicher. Ein Hoch auf Kekse, Kuchen, Chips und alles, was ihr euch bisher verboten habt. Hunger ist nicht verlässlich. Erst ist er genullt, dann kann er übermäßig werden. Ihr müsst essen, egal, ob ihr hungrig seid oder nicht. Ihr müsst essen, trotz Blähbauch. Und trotz „Keine Lust.“ Heißhunger ist nach langer Zeit der Restriktion normal. Nicht Kaugummi kauen oder Zähne putzen, sondern essen. Es geht vorbei. Ausnahme: Heißhunger nachts. Bitte nicht nachgeben. Das ist eine sehr ungesunde Sache. Das stört euren Schlaf und wird zur Gewohnheit. Schaut mit eurem Buddy, was dazu führen könnte, dass ihr nachts den Drang habt, zu essen. Meist liegt es daran, dass ihr tagsüber noch irgendwo restriktiv seid, und sei es nur gedanklich. Heißt, ihr esst nicht das, was ihr wollt. Macht entsprechende Korrekturen mit eurem Buddy und stellt Regeln auf, wie: Kein Essen mehr nach 22 Uhr. Wenn nachts der Hunger kommt, trinkt ein Glas Wasser und schlaft weiter. Es geht vorbei.

Merke: Hört auf, zu argumentieren und zu verhandeln. Euer Buddy gibt den Ton an, bis ihr selbst wieder klar denken könnt.

Wehrt euch nicht, sagt „Danke, dass Du da bist“ und macht!

Wiegen:

Die Zahl auf der Waage ist ein Treiber der Essstörung. Daran hängt sie sich fest. Ein Milligramm mehr entscheidet über den Tag. Er wird beschissen. Ein Milligramm weniger: Jackpot. Das ist AN. Das Gewicht zu exponieren ist ein absoluter Verhinderer der Heilung. Es gibt gewichtsphobische Grenzen, die die AN zum Schreien bringen und allen Erfolg zunichte machen können. Kaum ein/e ehemals Betroffene sieht das anders. Leider gibt es diesbezüglich sehr resistente Behandler, die meinen, die Waage zu exponieren, sei der Weisheit letzter Schluss.

Selbst dann, wenn man zunehmen will, ist ein Plus auf der Waage eine Hemmschwelle für alles, zu dem man eigentlich committed ist. Gewichtsblinde Behandlung ist einer der wichtigsten Bausteine auf dem Weg aus der Essstörung.

Merke: Euer Buddy, euer Arzt wiegt euch bitte blind.

Wenn der Arzt das verweigert, bitte wechseln! Es gibt Waagen, die extra für Menschen mit Essstörungen entwickelt wurden. Nutzt sie mit Eurem Buddy oder euren Behandlern. Ich verlinke sie hier: Blind Weight Scale.

Merke: Wiegen, einer der größten Rückfalltrigger! Bleibt weg von dem Teil! Lebenslang!

Wer aus welchem Grund immer nach der AN gewogen werden muss: Bitte immer blind wiegen lassen.

Lebensmittel einkaufen:

Die meisten AN sind obsessive Einkäuferinnen. Pseudo-Einkäuferinnen, denn sie verbringen liebend gerne ihre Zeit unter Lebensmitteln. Leute, anschauen bringt nichts! Ihr müsst essen, was ihr da seht.

Andere rennen durch, kaufen immer dasselbe und nichts wie raus. Auch das hilft nicht weiter. Es sei denn, ihr seid im Autismus-Spektrum. Aber auch ihr müsst exponieren und flexibler werden!

Anfangs geht euer Buddy einkaufen. Ihr könnt besprechen, was er kaufen soll. Im Laufe der Zeit geht ihr gemeinsam zum Supermarkt. Wenn ihr dort anfangt zu diskutieren, geht es zurück auf Anfang. Dann geht der Buddy wieder allein. Bis ihr mitgehen könnt und akzeptieren könnt, wie das dort abzulaufen hat:

Gemäß den Regeln Vollfett, keine Ersatzprodukte, das, worauf man Lust hat, auch Süßigkeiten, keine AN-Lebensmittel, nichts, wo Protein draufsteht, und Low Carb und Low Cal. Ihr wisst Bescheid!

Merke: Fett zu exponieren ist vermutlich superschwer für euch. Aber Vollfettprodukte (tierisch!) Sind essenziell für eure Heilung.

Euer Gehirn braucht Fett, genauso wie der Rest eures Körpers.

Phase 2

Phase 2 beginnt, wenn euer Gewicht wieder passt, sechs Mahlzeiten zur Gewohnheit geworden sind und es keine Diskussionen mehr gibt über Essen und Verhalten.

Merke: Seid ihr im Normalgewicht mittlerer BMI seit ca. sechs Monaten? Sind drei Mahlzeiten und drei Snacks inzwischen einfach? Habt ihr in den letzten sechs Monaten keine Mahlzeit ausgelassen? Schlaft ihr gut? Könnt ihr entspannt mit Sport umgehen? Habt ihr damit aufgehört, auf eure Buddys und Bezugspersonen loszugehen, zu beschimpfen und euch aufzuführen wie irre? Dann seid ihr bereit für Phase 2.

Ziele: Gewicht halten. Weiter drei Mahlzeiten und drei Snacks essen. Mehr Mitbestimmung bei den Mahlzeiten. Auswärts essen, zu anderen Zeiten essen. Alles essen, was noch schwerfällt und auch alles andere. Weniger auf den Buddy angewiesen sein. Auf keinen Fall wiegen.

Die Rolle des Buddys in Phase 2:

Der Buddy entscheidet, ob ihr so weit seid, Mahlzeiten allein einzunehmen und euch selbst zu portionieren. Er korrigiert eure Portionen und geht euch weiterhin auf die Nerven bezüglich allem, was noch AN ist in euch. Wenn euer Buddy der Meinung ist, ihr müsst zurück zu Phase 1, vertraut ihm.

Auswärts essen:

Integriert einmal in der Woche Restaurant Essen mit Eurem Buddy in euren Essensplan.

Regeln: Kein Speisekarten Check vorher. Maximal 10 Minuten, um zu entscheiden, was ihr bestellt. Salat ist verboten. Vorspeise statt Hauptspeise ist verboten. Ihr müsst eine volle Mahlzeit essen. Kein Frühstücksgericht zum Mittagessen. Euer Buddy entscheidet, ob ihr aufessen müsst oder ob die Portion tatsächlich so groß ist, dass ihr stoppen dürft, wenn ihr satt seid. Wenn ihr immer in dasselbe Restaurant geht, müsst ihr immer unterschiedliche Gerichte bestellen. Es wird genauso bestellt, wie es auf der Karte steht: kein Austausch, kein Weglassen! (Ausnahme: diagnostizierte Unverträglichkeiten/Erkrankungen). Getränke müssen Kalorien enthalten. Das Essen muss in 30 Minuten beendet sein.

Snacks außerhalb von zuhause:

Mindestens ein Snack pro Tag muss in Phase 2 außer Haus gegessen werden. Anfangs könnt ihr euren Snack mitnehmen, später kauft ihr ihn unterwegs. Euer Buddy entscheidet!

Urlaub:

Für die Allermeisten mit AN ist Urlaub eine große Herausforderung, sogar nach der Heilung. Alles ist anders, der Ablauf, das Essen, die Leute. Die Rückfallgefahr/der Gewichtsverlust ist im Urlaub oft hoch. Bereitet euch gut darauf vor. Fahrt erst in den Urlaub, wenn ihr euch wirklich sicher fühlt, und sagt mindestens einer Person Bescheid über eure AN, damit jemand einen Blick auf euch werfen kann.

Merke: Voraussetzung für Urlaub ist, dass ihr in der Lage seid, auch außerhalb von zuhause drei Mahlzeiten und drei Snacks zu essen, normalgroße Portionen zu essen, von welcher Art des Essens auch immer. Nicht zu bingen am Buffet. Nicht schlecht gelaunt zu sein und anderen den Urlaub zu verderben, nur weil es nicht so läuft, wie ihr euch das vorstellt.

Phase 3:

Wenn auswärts essen langweilig ist, ihr unabhängig von eurem Buddy essen könnt, ihr flexibel seid, die Angst vor der Gewichtszunahme nicht mehr euer ständiger Begleiter ist, ihr nicht mehr trickst und ausweicht und nicht ständig schlechte Laune habt, dann beginnt Phase 3.

Merke: Euer Buddy entscheidet, ob Phase 3 beginnen kann. Wer Gewicht verliert, geht zurück auf Anfang.

Ziele:

Gewicht halten, vollkommene Unabhängigkeit. Alles essen können. Jede soziale Situation bewältigen können. Nicht mehr vergleichen, weder Aussehen noch Mahlzeiten in Menge und Konsistenz. Spontan essen können. Zurück zum Sport in vertretbarem Ausmaß. Weiterhin AN-Verhalten und Fear-Food weg üben. In Fast-Food-Restaurants essen. Drei Mahlzeiten, drei Snacks für den Rest eures Lebens. Nicht selbst wiegen für den Rest eures Lebens.

Die Rolle des Buddys in Phase 3:

Ihr solltet immer unabhängiger werden von Eurem Buddy. Aber er hat noch einen Blick auf euch und gibt regelmäßig Rückmeldung. Wann immer Euer Buddy euch etwas zu sagen hat: Das gilt!

Einkaufen in Phase 3:

Macht mit eurem Buddy einen Tag aus, an dem ihr für die Woche plant und eine Einkaufsliste schreibt. Dann geht eigenständig in den Supermarkt.

Wenn ihr selbst kocht, plant detailliert, was und wie, AKA die Menge an Öl, an Nudeln usw.

Merke: Die AN wird noch lange versuchen, euch zu zu wenig zu zwingen. Haltet euch exakt an die Mengenangaben in Rezepten oder vom Buddy. Intuitiv ist nicht!

Abwiegen oder Löffel und Co. als Maß nehmen, ist hilfreich, wenn ihr für euch selbst verantwortlich seid. Nutzt es als gesundes Tool, nicht als AN-Kontrolle.

Merke: Es darf immer mehr sein, aber nie weniger.

Ihr seid in Phase 3 in der Lage, nach einem langen Tag oder wenn ihr nicht kochen wollt oder könnt, schnell zu Mac Donalds zu gehen und dort etwas zu bestellen, oder beim Pizzaservice etc. Ihr seid flexibel.

Essen gehen:

Geht in die Kantine zum Essen oder in die Mensa. Verabredet Euch zweimal im Monat mit Freunden in einem Restaurant deren! Wahl: Alle Regeln aus Phase 2 gelten nach wie vor.

Body Image:

Bodyimage Probleme werden besser mit Normalgewicht. Der Recovery-Belly geht weg. Die Proportionen verteilen sich gemäß eures Körpertyps. Orientiert euch an Körpern gesunder Menschen, nicht an den Idealen in den sozialen Medien.

Merke: Watch, whom you follow on social media!

Phase 4

Willkommen im recovered land! Alles ist inzwischen normal, ihr seid unabhängig und habt eure AN gechallenged. Ihr fangt an, zu vergessen, dass da mal was war, und ihr könnt euren Körper akzeptieren.

Merke: Ihr habt eine Prädisposition zu dieser Krankheit. Sie ist nicht einfach weg, nur weil ihr sie nicht mehr spürt.

Merke: Die AN meldet sich durch irgendein individuell bekanntes Gefühl, wenn etwas in eurem Leben nicht stimmt. Geht nicht auf das Gefühl ein, macht weiter wie bisher, aber checkt euer Leben!

Haltet Kontakt zu eurem Buddy. Holt euch regelmäßig Rückmeldung und bittet um Hilfe, wenn es schwierig wird.

Rückfallprofilaxe:

Trigger sind Situationen, die eure AN lauter werden lassen. Das kann wie gesagt ein Urlaub sein, ein Mensch, der euch nicht guttut, ein Job, der ungut ist, Stress, Krankheit, Verluste… Es gibt Trigger in der Umwelt, die euer Gehirn aktivieren, wieder in Verhaltensweisen zu gehen. Diese Trigger sind nicht der Grund für eure AN oder für einen Rückfall, sondern der Auslöser. Die genetische Prädisposition ist der Grund, und die beginnt zu laufen, wenn ihr Gewicht verliert.

Merke: Gewichtsverlust ist der Grund für eure AN und für jeden Rückfall.

Trigger können dazu verleiten, wieder Gewicht zu verlieren, um die Erleichterung der AN, die Emotionsreduktion, das anfängliche High und die vermeintliche Sicherheit zu nutzen.

Merke: Wenn ihr dem Drang nach AN-Verhalten nachgebt, habt ihr einen Rückfall.

Wendet Euch an euren Buddy und geht zurück zu Phase 2 oder 3. Es braucht viele Jahre, bis ihr so stabil seid, dass ein Rückfall in die AN nicht mehr wahrscheinlich ist. Ihr könnt auch in diesen Jahren ein völlig normales Leben leben, müsst aber gut auf euch achten.

Wiederholung:

Was ihr lebenslang tun müsst:

Drei Mahlzeiten, drei Snacks, Gewichtsverlust vermeiden. Tendenz zu zu wenig beachten und umgehen. Trigger identifizieren und auslöschen, wenn möglich. Nicht selbst/offen wiegen. Um Hilfe bitten, wenn ihr sie braucht. An den psychologischen Hintergründen eurer AN arbeiten (Trauma, Glaubenssätze, darunterliegende mentale Erkrankungen oder Behinderungen (Autismus-Spektrum). Mit eurer Energie haushalten, Stress vermeiden, wenn möglich. Kein Leistungssport, kein Marathon, Triathlon und Co. Kein Veganismus. Diäten vermeiden, kein Fasten auch kein Heilfasten! Leute meiden, die eure Ernährung kritisieren und das nicht sein lassen können. Leute meiden, die euch nicht guttun, wenn möglich. Nicht zu viel allein sein. Ärzte aussuchen, die nicht alles mit Ernährungsprinzipien heilen wollen. Lernen, standhaft zu bleiben und eure Interessen zu vertreten. Die Liste ist nicht abschließend, umfasst aber das meiner Erfahrung nach Wichtigste.

Und noch ein Wort zur Angst:

Angst ist die Grundemotion der AN. Exposition, also das Hineingehen in die Angst, bringt sie zum Verschwinden. Aber nur, wenn ihr konstant und konsequent seid.

Merke: Ab und zu mal challengen, hilft nicht!

Im Gegenteil.

Merke: Ihr bringt Eurem Gehirn bei, wovor es Angst hat, durch euer Verhalten! Ihr bringt Eurem Gehirn bei, was sicher ist, durch euer Verhalten.

Das ist die Grundlage der AN-Therapie bzw. sollte die Grundlage sein. Ihr könnt euch nicht aus der AN denken oder fühlen oder sie wegbringen, indem ihr euer Nervensystem reguliert mittels Meditation oder Atmung oder sonst etwas. All das reguliert die Angst nicht, sondern das sind Methoden zur Vermeidung. (Es wird da draußen Leute geben, die mich für diesen Satz hauen werden.) Schon mal die Erfahrung gemacht, dass ein Versuch, zu meditieren, Euch fast in die Anstalt bringt? That’s it.

Das Zauberwort ist Akzeptanz. Akzeptiert, dass ihr x Versuche der Heilung gemacht habt, und keiner hat funktioniert. Ihr wart in x Kliniken, habt x Therapeuten oder Coaches gehabt, habt geredet und geredet, nach Plänen gegessen oder auch nicht gegessen, und seid immer noch AN.

Akzeptiert, dass ihr etwas eklatant anders machen müsst als all das, was nicht funktioniert hat.

Akzeptiert, dass ihr in die Angst gehen müsst, sie aushalten müsst, bis sie weggeht – und sie wird weggehen. Voraussetzung: Konsequenz!

Bleibt noch zu sagen: Gratulation, wenn ihr das alles geschafft habt!

Merke: Es gibt nichts Schwierigeres, als eine AN in die volle Remission zu schicken!

Done!