Warum man plötzlich nicht mehr kann

Burnout ein Begriff, den jeder kennt. Er beschreibt diesen Zustand des „nichts geht mehr“, der meist auf zu viel Stress zurückzuführen ist. Überforderungen im Job stehen ursächlich an erster Stelle.

Bei den neurotypischen Menschen.

Autisten dagegen sind in ihren Arbeitsbereichen oft sogar unterfordert. Und trotzdem oder vielleicht sogar gerade deshalb, sind sie häufiger von Erschöpfung und Depressionen betroffen als der Durchschnitt. Denn nichts ist demotivierender als aufgezwungene Langeweile kombiniert mit einem unpassenden Umfeld.

Am schlimmsten betroffen vom autistischen Burnout sind die hochfunktionalen Erwachsenen. Sie sind oft hochintelligent, kognitiv und sprachlich sehr fit, hervorragend ausgebildet, und anpassungsfähiger als ein Chamäleon. Sie fallen nicht auf unter den Normotypischen. Und viele wissen noch nicht einmal selbst von ihrem Autismus. Sie laufen deshalb zu allem Überfluss auch noch ständig mit der Frage durch ihr Leben, warum sie so müde werden von allem, was andere so locker wegstecken, und sie oft sogar noch aufzutanken scheint.

Ein Großteil der hochfunktionalen Autisten studiert oder arbeitet auf dem ersten Arbeitsmarkt, in Teams mit neurotypischen Menschen und unter deren Bedingungen. Manche haben Familie und Kinder, die Aktivitäten mit- und unter nicht autistischen Menschen erforderlich machen. Maskieren ist ihnen meist schon in der Kindheit zur Gewohnheit geworden.

Es ist so normal, nicht wir selbst zu sein, dass wir nicht mal mehr merken, wie weit wir uns von unseren eigenen Bedürfnissen entfernt haben; wenn wir sie denn überhaupt wirklich kennen.

Das geht nicht lebenslang gut. Irgendwann kommt der Punkt, an dem Autisten nicht(s) mehr können.

Und den wiederum erleben wir so individuell, wie wir eben sind:

Manche fühlen sich in jeder Hinsicht erschöpft, können aber trotzdem nicht schlafen, weil die Gedanken nicht stillstehen. Andere können ihre Emotionen nicht mehr regulieren, Overloads und Meltdowns werden zu täglichen Begleitern, die schlimmstenfalls am Ende des Tages im Shutdown enden. Der wiederum bis zum nächsten Morgen überwunden sein muss, denn man muss ja funktionieren. Den meisten machen Nichtigkeiten plötzlich Angst, beruhigende Routinen werden deshalb maximal ausgelebt, lassen keinen Raum mehr für Spontaneität und Flexibilität. Und die exekutiven Funktionen verabschieden sich nahezu komplett. Die kleinste Kleinigkeit wird zur Herausforderung, das leiseste Geräusch zur unerträglichen Lärmquelle.

Der Rückzug in sich selbst ist dann unvermeidlich. Je länger dieser Zustand andauert, umso wahrscheinlicher ist es, dass am Ende sogar die Fähigkeiten, sich auszudrücken, einfache Gespräche zu führen, zu telefonieren und sich selbst zu versorgen abhandenkommen. So kann ein hochfunktional autistischer Mensch im Burnout durchaus wirken wie einer, der schwer betroffen ist. Und sich vor allem auch so fühlen.

Ich selbst kann manchmal kaum glauben, wie viel besser es mir geht, seit ich nicht mehr arbeiten muss und mir mein Leben Autismus freundlich organisieren kann. Ich hätte niemals gedacht, dass es mir bei manchen Gelegenheiten und mit manchen Menschen sogar leichtfallen würde, spontan zu sein. Oder mit einer Person zu telefonieren, die ich nicht kenne. Dass ich Zugang habe zu meinen Emotionen und Wochen ohne Overload und Shutdown erleben darf. Natürlich gibt es immer noch Situationen, in denen mir absolut bewusst ist, dass ich Autistin bin. So sehr ich z.B. den Sommer liebe, so besorgt bin ich schon jetzt, wenn ich an die lauten Kinder unten auf der Wiese denke, an das grelle Licht, die langen, geräuschvollen Nächte, die mich meinen Schlaf kosten, zumal ich gerne früh ins Bett gehe. Lärm macht mich sehr schnell nahezu handlungsunfähig. Und offene Fragen von Menschen, die ich nicht kennen, kann ich immer noch oft nicht sofort beantworten. Aber alles kein Vergleich mit den vielen, undiagnostizierten Jahren zuvor.

Der autistische Burnout ist weniger eine Folge des Leistungsdenkens sondern resultiert vor allem aus dem Camouflaging, dem ständigen Bemühen der Autisten, neurotypische Verhaltensweisen nachzuahmen, inneren Skripts zu folgen, um z.B. beim Smalltalk bestehen zu können, Dinge zu tun, um dazuzugehören oder weil „es sich so gehört“, gelernt Augenkontakt zu  halten uvm.

Wenn man das aber weiß, müsste es doch eigentlich ganz einfach sein, das Problem zu lösen?

Ist es leider nicht. Es sei denn, man hat so wie ich die Möglichkeiten, ein Leben weitgehend außerhalb dessen führen zu können, was als „normal“ gilt. Und auch ich habe mir diese Voraussetzungen hart erkämpfen müssen und trage trotz aller Verbesserungen die Folgen.

Auf Inklusion im Studium und am Arbeitsplatz kann ein hochfunktional autistischer Mensch, mit dem man doch „ganz normal reden“ kann, nicht zählen. Outing will immer gut überlegt sein, viele erhoffen sich dadurch mehr Verständnis und Entgegenkommen, erleben am Ende jedoch das Gegenteil. Und Rehamaßnahmen mag es zwar geben, doch wenn man danach wieder genauso weiter machen muss, weil man sein Umfeld und seine Lebensumstände nicht ändern kann, ist nichts gewonnen.

Somit bleibt als wichtigste Strategie, sich selbst möglichst gut zu kennen. Wenn Ihr wisst, was Euch zu schaffen macht, könnt Ihr zumindest versuchen, diese Situationen zu meiden oder Euch wenigstens ausreichend Spielraum einbauen, um Euch danach erholen zu können. Wenn Ihr noch jung seid, habt Ihr vermutlich mehr Kapazitäten, aber achtet gut auf Eure Energie. Denn genau in diesen Jahren ist es wichtig, Euch nicht auszulaugen und Euch wirkungsvolle, schützende Praktiken zuzulegen, die Euch durch Euer Leben begleiten. Denn je älter Ihr seid umso schwieriger wird es sein, einen Burnout zu verhindern oder Euch dann wieder davon zu erholen. Verloren gegangene, hochfunktionale Fähigkeiten brauchen lange, bis sie wieder voll abrufbar sind.

Ich könnte jetzt noch seitenweise schreiben, was Ihr machen könnt, damit Ihr möglichst ohne Burnout durch Euren Alltag kommt. Von A wie Achtsamkeit bis Z wie zurückziehen, rechtzeitig.

Ich spare mir das jetzt hier aber, denn die allgemeingültigen Tipps sind allseits bekannt. Und ich glaube, als erwachsene Autisten habt Ihr alle schon Wege gefunden, die so gut wie eben möglich für Euch ganz individuell funktionieren.

Wenn Ihr dazu noch Austausch braucht, findet Ihr immer Gleichgesinnte im Aspies Forum und

hier sind zwei Artikel, die zwar eigentlich eher im Fokus haben, wie nt- Menschen Autisten unterstützen können, aber ich finde, man kann auch als Autist einige Anregungen daraus ziehen, was man tun kann, dass man nicht irgendwann plötzlich nichts mehr kann.

https://www.zeitschriftmenschen.at/content/view/full/113107 (Christine Preißmann)

https://autismus-kultur.de/autismus/psychische-gesundheit.html