So, das ist jetzt der dritte Anlauf für diesen Artikel. Ich setze immer neu an, denn ich kämpfe damit, über etwas schreiben zu wollen, das mir als Autistin nicht in die Wiege gelegt wurde: Über diplomatisches Verhalten in sozialen Interaktionen. Diplomatie im politischen Kontext ist hier nicht Thema.

Ich könnte jetzt ausholen und erklären, warum Autisten die wichtigste Voraussetzung für diplomatisches Handeln fehlt, aber ich mache es kurz, denn im Grunde wisst Ihr es ja selbst längst. Es liegt vor allem an der mangelhaften kognitiven Empathie, an dem mehr oder weniger ausgeprägten „Bug“ in der Perspektivenübernahme. Und die ist nun mal Voraussetzung für diplomatisches Handeln. Diplomatie, also das „zwischenmenschliche Management“, haben wir Autisten nicht erfunden (RW) und die entsprechenden Techniken können die meisten leider auch nur bedingt erlernen. Denn wem die Fähigkeit fehlt, sich in jeder Situation in andere hineinzuversetzen, der wird auch mit den ausgefeiltesten Skills nicht diplomatischer. Wenn man die Sicht des anderen und die Entwicklung einer Situation nicht wenigstens halbwegs intuitiv vorwegnehmen kann, überlegt man irgendwann nur noch, was man als nächstes tun muss, wie das angekommen ist, was man gerade gesagt hat und was das Gegenüber wohl vorhaben könnte.

So kommen wir nicht weiter. Was machen wir Autisten also stattdessen: Wir sagen, was wir denken, unmittelbar in der Situation und meist schnörkellos. Positives wie Negatives. Selbst wenn wir nicht immer richtig liegen in unserer Wahrnehmung, weiß somit jeder, woran er ist. Nur leider nicht umgekehrt, denn neurotypische Menschen neigen nun mal eher dazu, um den heißen Brei herumzureden. Wenn aber eine Seite direkt ist und die andere indirekt, kommt man schwer zusammen.

Unangenehme Botschaften kann man nicht schönreden und ein Konflikt lässt sich auch nur aus der Welt schaffen, wenn man ihn akzeptiert und klärt, anstatt zu versuchen, ihn zu vermeiden. Alles, was man umgeht, holt einem irgendwann wieder ein. Je mehr man ausweicht, umso schlimmer wird es am Ende. Weil wir Autisten gar nicht anders können, als den direkten Weg zu gehen, haben wir den NT hier vielleicht sogar etwas voraus. Ich muss allerdings vermerken, dass es auch viele Autisten gibt, die sich irgendwann ganz zurückziehen und gar nichts mehr sagen, weil die Erfahrung, stets auf einer anderen Ebene zu kommunizieren, sehr frustrierend sein kann.

Nun kommt es in Dialogen nicht nur darauf an, was man sagt, sondern vor allem, wie man etwas sagt und welche Wortwahl man trifft. Wie heißt es so schön: „Der Ton macht die Musik“.

Wir sollten alle daran interessiert sein, gut miteinander auszukommen, autistisch oder nicht. Es sollte selbstverständlich sein, dass wir unserem Gegenüber mit möglichst wenig Vorurteilen begegnen, offen sind für andere Ansichten, gegenseitiges Interesse bekunden und empathisch sind. Das alles sind genau die Eigenschafen, die Diplomatie beschreiben. Autisten konzentrieren sich allerdings vornehmlich auf Inhalte und weniger auf Zwischentöne, drum haben wir häufig Schwierigkeiten mit diesem „Wie“. Doch das kann man lernen. Direktheit und Deutlichkeit schließen einen konstruktiven und wertschätzenden Umgang mit anderen und die Bereitschaft zu Kompromissen keinesfalls aus.
Voraussetzung für eine Annäherung ist immer, dass man seine eigene Meinung zwar klar und eindeutig formuliert, jedoch ohne aggressiv und schonungslos hart zu werden oder den anderen gar bloßzustellen. Die berühmten Ich-Botschaften und eine gewaltfreie Wortwahl sind zwei von mehreren Methoden, die sich jeder aneignen kann, um diplomatisches Verhalten etwas besser zu beherrschen.

Ich gehe die Möglichkeiten mal durch, die mir einfallen.

  1. Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg ist ein Kommunikationsmodell, dass sich für den Alltag und für geschäftliche Beziehungen gleichermaßen eignet. Es ist gekennzeichnet durch vier Ebenen:

Beobachtung konkreter Handlungen und deren wertfreie Kommunikation

„Du hast heute früh den Mülleimer nicht ausgeleert, also habe ich das übernommen“

Gefühl (Ich Botschaft)

Ich bin frustriert, weil das immer wieder vorkommt und…

Bedürfnis

…ich mir mehr Arbeitsteilung im Haushalt wünschen würde.

Bitte

Deshalb bitte ich Dich, zukünftig mehr daran zu denken und mich zu unterstützen.

  1. Die berühmten ICH Botschaften

Als Kinder lernten wir, Sätze nicht mit Ich zu beginnen. Es wurde uns eingebläut, dass es unhöflich sei, sich selbst voranzustellen. Doch nicht in diesem Fall. Ich-Botschaften haben das Ziel, dem anderen die eigene Perspektive nahezubringen, ohne ihn anzugreifen. Man sagt, wie man sich fühlt, wie man etwas wahrnimmt und was man sich wünscht und beginnt den Satz mit ICH. Das Beispiel oben zeigt, wie das geht.

  1. Aktives Zuhören

Zugegeben, das ist etwas strange, vor allem, wenn man es noch übt. Da passiert es schon mal, dass man sich anhört, wie ein Papagei. Andererseits wenden wir diese Technik ganz automatisch an, wenn wir uns privat mit einem Menschen unterhalten, der uns wichtig ist. Beobachtet Euch mal dabei, dann werdet Ihr feststellen, dass es so ist.

Im Grunde läuft das so, dass man das, was das Gegenüber gesagt hat, nochmal in dessen Worten oder mit den eigenen so zusammenfasst, wie man es verstanden hat. Das vermittelt das Gefühl, gehört und ernst genommen zu werden und gibt gleichzeitig dem anderen die Möglichkeit, zu korrigieren.

Jetzt kommen eher noch ein paar Tipps, die ich nicht als Methode bezeichnen würde

  1. Erwartungen mitteilen:

Voraussetzung dafür, sich zu einigen oder zu verstehen, ist immer, dass man die gegenseitigen Erwartungen kennt und nicht aneinander vorbeiredet. Sagt also, was ihr wollt und welche Anliegen ihr habt. Bleibt dabei aber höflich und freundlich. Formuliert als Wunsch, nicht als Forderung und vergesst nicht, zu fragen, was der andere möchte.

  1. Freut Euch mit anderen, wenn sie Erfolg haben

Sucht bei anderen nicht nach Fehlern sondern fokussiert Euch auf das Positive und auf das, was sie gut können. Ein ehrlich gemeintes Kompliment zur rechten Zeit ist immer eine schöne Geste.

  1. Respektiert Eure Interaktionspartner

Menschen sind verschieden. Wir Autisten wollen so akzeptiert werden, wie wir sind, ernst- und wahrgenommen werden. Es sollte klar sein, dass wir andere so behandeln, wie wir es uns für uns selbst wünschen.

  1. Bedankt Euch und sagt, wofür

Bedanken und erwähnen, wofür (auch wenn´s klar ist), ist ein Signal der Wertschätzung und die tut jedem gut. Natürlich nicht alle zwei Minuten, das wirkt komisch. Es geht dabei nicht um Unterwürfigkeit. Es kann ein wenig schwierig sein, hier eine gute Mitte zu finden, wenn man als Autist unsicher ist in Interaktionen. Ihr könnt Euch vielleicht ein wenig daran orientieren, was Euch vom anderen  weitergeholfen hat. Wenn Ihr zum Beispiel mit zwei Einkaufstüten bepackt seid und der Mensch vor Euch hält die Türe auf, wäre ein „Danke für´s Türe aufhalten“ angebracht.

  1. Verbindlichkeit

Das dürfte Autisten nicht schwer fallen, denn wenn wir etwas zusagen, dann halten wir uns daran, wann immer möglich. Oberflächlichkeit ist nicht unsere Art. Achtet aber darauf, dass Ihr keine Zugeständnisse macht, wenn Ihr nicht sicher seid, dass Ihr sie einhalten könnt oder wenn Ihr von Euch schon wisst, dass Ihr dazu neigt, in letzter Sekunde etwas abzusagen. Das ist ziemlich ungut. Wenn Ihr zum Beispiel eine Einladung eigentlich gerne annehmen wollt, aber unsicher seid, ob am Ende Eure Energie reicht, dann lasst eine Zusage lieber offen. Wenn andere von Eurem Autismus wissen, sollte das kein Problem sein. Ob und wann ein Outing sinnvoll ist, das Thema wird einer meiner nächsten Artikel.

  1. Leidiges Thema: Teamarbeit

Bei Teamarbeit im Job ist Diplomatie wohl am meisten gefragt. Wobei das, was ich in vielen Teams erlebt habe, eher eine pseudo-demokratische Diskussion war, als taktisches Verhandeln. Es ging immer darum, wer recht hat. Möge der Eloquentere und Durchsetzungsfähigste gewinnen. Sachbezug: Fehlanzeige

In solchen Situationen gibt es eine Menge unausgesprochener sozialer Regeln und Untertöne, die wir Autisten nicht mitbekommen. Teams sind oft richtig ätzend für Autisten. Ich habe mich irgendwann zurückgelehnt und habe mir vorgestellt, sich sitze in einem schlechten Kinofilm. Ich habe nur noch beobachtet und kaum noch etwas gesagt. Sehr frustrierend auf Dauer und extrem unbefriedigend. Drum achtet auf Eure Berufswahl, sofern Ihr noch die Möglichkeit dazu habt.

Interaktion ist irgendwie immer Verhandlung und Kompromiss. Anders klappt das nicht. Doch Diplomatie, Pseudo-Demokratie und Manipulation trennen nur Nuancen in Wort und Ton. Für Autisten ist dieser Unterschied meist noch schwerer zu durchschauen als für NT.

„I´m autistic, which means everyone around me has a disorder that makes them say things they don´t mean […]“ (autisticnotweird.com)

Man kann das wohl kaum ändern, aber auch als autistischer Mensch kann man zumindest versuchen, sich vornehmlich mit denen zu umgeben, die sich als vertrauenswürdig und nicht manipulativ erwiesen haben. Und natürlich können sich Autisten wertschätzend und sozial kompetent verhalten!