Wer in Deutschland lebt und unter Anorexia Nervosa leidet, der hat gleich zwei Probleme:

 Die Essstörung an sich und die Tatsache, dass es die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die wohl schwerste aller Essstörungen, hierzulande offensichtlich nicht durch die Firewall schaffen.

Seit Jahrzehnten müssen sich Betroffene anhören, sie haben eine Psychomacke, sie tun das, was sie tun, absichtlich und ihre Eltern haben Schuld an ihrer Misere. 10-jährige Mädchen werden in Kinder- und Jugendpsychiatrien weggesperrt, ihre Familien bekommen Besuchsverbot, stören sie doch den Heilungsprozess. Kinder werden bestraft, wenn sie nicht essen und genauso, wenn sie mehr essen als ihr veganer oder vegetarischer Ernährungsplan für sie vorsieht. Zu groß ist die Angst der Therapeuten davor, dass die Patienten ins Binge-Eating switchen könnten, was angesichts der Tatsache, dass Magersüchtige oft in lebensbedrohlichem Untergewicht sind, eine zu vernachlässigende Problematik sein dürfte.

„Drehtürpsychiatrie“ nennt man das Phänomen, wenn Betroffene nach Wochen psychosomatischer Behandlung scheinbar geheilt, mit einem Gewicht, dass Kate Moss neben ihnen füllig aussehen lässt, aus der Klinik entlassen werden, nur um dann kurze Zeit später erneut mit lebensbedrohlichem Untergewicht wieder aufgenommen werden zu müssen. In vielen europäischen Ländern ist diese Situation nach wie vor tägliche Routine, und auch in den englischsprachigen Ursprungsländern der Forschung hat es lange gedauert, bis sich die neusten Erkenntnisse über die tatsächliche Ursache der Anorexie halbwegs in den Therapien etablieren konnten.

Kein Wunder also, dass sich Betroffene in ihrer verzweifelten Suche nach Verstehen und Hilfe zu einer Recovery (=Heilung) Community zusammengeschlossen haben, gemäß dem Motto:

 

„Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner.“

Ca. 2013 gründete die Amerikanerin Gwyneth Olwyn das sogenannte „Eating Disorder Institute[1]“, eine online Plattform, auf der sie Richtlinien einstellte, die bis heute Betroffenen Anweisungen geben sollen, wie sie aus ihrer Essstörung aussteigen können. Minni Maud Recovery nannte sie ihre Methode, ein Kürzel für Minnesota und Maudsley, denn sie orientierte sich dabei an Ergebnissen der Minnesota Starvation Study und am Maudsley Protokoll. Über Olwyn selbst findet man mehr Gerüchte als Fakten. Angeblich war sie nie persönlich von einer Essstörung betroffen. Trotzdem folgen ihr nach wie vor tausende verzweifelte und in der Regel sehr junge Betroffene und probieren naiv, ohne ärztliche Begleitung und mehr oder weniger erfolgreich diese fälschlicherweise als wissenschaftlich fundiert gepriesene Methode aus. Nachdem nicht wenige Patienten durch diesen „Heilungsansatz“ unter unterschiedlichen körperlichen und seelischen Folgeerscheinungen litten, wurde es Olwyn vor einigen Jahren untersagt, ihre Richtlinien weiterzuverbreiten. Interessanterweise findet man darüber im Internet nichts mehr. 

Mit der Minni-Maud Bewegung wuchs die online Community essgestörter Menschen jeden Alters und jeden Geschlechtes nahezu stündlich. „Recovery Warriors“, nennen sie sich. Podcasts, YouTube Videos, Interviews und Coaches, deren Kompetenz allein die eigene Erfahrung war, fluteten die sozialen Medien. Der Trend schwächt sich etwas ab, hält aber nach wie vor an.

 Nicht nur Betroffene nutzen die Möglichkeiten der Onlinewelten. Auch Forscher und Fachleute publizieren zunehmend ihre Ergebnisse und Erkenntnisse per Video und in Interviews und machen so ihre Erfahrungen und ihr Wissen zugänglich für alle, die anderweitig keine Unterstützung finden können. Diese Entwicklung erweist sich als ein sehr wertvoller Schutz für diejenigen, die aufgrund ihres jungen Alters oder der Schwere ihrer Erkrankung nicht reif oder erfahren genug sind, Sinn und Unsinn voneinander zu unterscheiden. Leider scheint es immer noch so zu sein, dass sich Patienten aus ihrer Not heraus aktiver und damit besser informieren über ihre Krankheit als diejenigen, die für ihre professionelle Hilfe hoch bezahlt werden.

Wer nun also darüber nachdenkt, vielleicht doch den Sprung auf die gesunde Seite zu wagen oder wer Angehörige oder Freunde hat, denen geholfen werden soll, der tut gut daran, sich da umzuschauen, wo man die Krankheit verstanden hat: in den englischsprachigen Ländern.

Die Forschungsergebnisse von Cynthia Bulik und ihrem Team zeigen eindrücklich, dass wir es bei der Anorexie (AN) nicht mit einem Spleen zu tun haben oder mit Mädels, die etwas Besonderes sein wollen. Tatsächlich ist Anorexie eine Bio-Psycho-Soziale Erkrankung, ein Zustand, der ohne genetische Prädisposition nicht entstehen kann. 

Über das Bio-Psycho-Soziale Modell haben wir schon viel erzählt. Sie finden alles Wichtige darüber auf den Seiten von E.A.Tund auf Magersuchteltern.de. Doch auch wenn wir uns in diesem Artikel vornehmlich mit Recovery, mit Wegen aus dieser Essstörung, beschäftigen, kommen wir nicht umhin, Ursache und Wirkung noch einmal kurz zusammenzufassen, wenn wir hier ein gemeinsames Verständnis dieser Krankheit erreichen wollen.

AN ist eine auf mehreren Genen verortete Stoffwechselstörung, ausgelöst durch ein Energiedefizit, das einen systemischen Dominoeffekt auslöst, der vom Gehirn über die Stressachse bis hin zum Darm-Milieu eine potenziell tödliche biologische Umkehrung auslöst:

Das menschliche Grundbedürfnis „Essen“ wird mittels der Angst vor Gewichtszunahme zur maximalen Bedrohung, während es nichts gibt, dass sich besser anfühlt als der Zustand des Hungers.

Die Auslöser des Energiedefizites (physische Erkrankung und/oder psychosoziale Faktoren) sind nicht die Ursachen der Krankheit. Man muss diese ersten Trigger, die dazu führen, dass diese Menschen weniger essen, nicht kennen, um sie zu heilen. Es ist allerdings von Vorteil, ihre Psychodynamik zu verstehen, um das Rückfallrisiko zu minimieren.

 

“We know better, we do better”. Das ist unser Motto.

Entsprechend stellen wir Ihnen im Folgenden ein paar Methoden vor, die dem Heilungsweg förderlich sein können, oder auch nicht. Entscheiden Sie selbst.

Wir bitten um Verständnis, dass es den Rahmen des Artikels sprengen würde, alle Therapiemodelle ausführlich darzustellen. Deshalb beschränken wir uns auf die wichtigsten Ansätze und deren wesentliche Eckpunkte.

 

Essen ist Medizin:

Tatsächlich ist AN wohl die schwerste und gefährlichste Angsterkrankung (Phobie), die einen Menschen treffen kann, unabhängig von Alter, Gewicht, Herkunft und Geschlecht. Eine Phobie, die sich in Gewichtsangst manifestiert und die nur geheilt werden kann, wenn das, was sie auslöst und am Leben erhält, radikal beseitigt wird:

  • Das Energiedefizit im Körper und im Gehirn
  • Das Gewichtsangst- vermeidende Verhalten
  • Die aufrechterhaltenden Gewohnheiten
  • Das restriktive Denken und Verhalten
  • Die Heimlichkeiten, die Scham und die Einsamkeit

Egal für welche begleitenden therapeutischen Methoden Sie sich entscheiden oder ob Sie diesen Weg allein gehen wollen: Diese fünf Säulen zu behandeln, ist existenziell und damit unverzichtbar.

Essen ist Medizin und Exposition ist der Schlüssel zur Apotheke.

 

 

Expositionstherapie:

Ohne Exposition keine Heilung. Dabei ist es erst einmal nicht wichtig, ob diese Exposition bewusst gewollt und gezielt durchgeführt wird oder ob sie quasi nebenbei passiert. Es ist auch nicht zwingend notwendig, einen auf Exposition spezialisierten Therapeuten zu finden. Es kann helfen, wenn er das Krankheitsbild der Anorexie verstanden hat, es kann sehr schieflaufen, wenn nicht. Wichtig ist: Jede Konfrontation mit Essen, Lebensmitteln, Essenssituationen- und Mengen und gleichzeitig jedes Unmöglich machen einer Vermeidungsstrategie ist Exposition. Je öfter diese Übungen wiederholt werden, je unvorhersehbarer sie gestaltet werden, umso lauter wird die AN am Anfang, doch umso schneller verschwindet die Angst. Im Falle einer Anorexie empfiehlt es sich, die Lebensmittel, die die größte Angst auslösen, so schnell wie möglich zu exponieren. Konfrontation von schwer zu leicht macht es den Betroffenen möglich, diesen harten Weg der AN- Recovery durchzuhalten. Führt man das schlimmste Angstlebensmittel dann ein, wenn das die Heilung schon weit fortgeschritten ist, kann das zu einem Wiederaufleben der AN Gedanken und Gefühle führen, was sehr demotivierend ist für die Patienten.

 

Eine Therapieform, die vornehmlich mit Exposition arbeitet, ist:

Family Based Treatment (FBT):

Über die Entstehung und den Ablauf dieser Therapieform und über Bezugsadressen können sie sich ausführlich informieren über die Seiten von Magersuchteltern oder EAT oder in einem persönlichen Gespräch mit den dort genannten Ansprechpartnern.

Familienbasierte Behandlung/Hometreatment hat den Vorteil, dass die Kinder und Jugendlichen in ihrer Kernfamilie und, bei entsprechendem gesundheitlichen Zustand, auch in ihrem Alltag verbleiben. Alle Familienmitglieder werden in den Prozess eingebunden und bestenfalls begleitet von einem auf FBT spezialisierten Therapeuten oder Coach und Ernährungsberater. Es geht auch ohne professionelle Begleitung, eine Elterngemeinschaft zur Unterstützung ist jedoch absolut empfehlenswert.

Wichtig ist:

Es gibt Situationen, die FBT zu einer schwierigen Mission machen können. Eine zerstrittene, zerrüttete Familie ist kein Umfeld, in dem ein Kind mit AN gesund werden kann. Die Eltern (und Geschwister) sollten in der Lage sein, sich gegenseitig zu ergänzen und zu unterstützen und an einem Strang zu ziehen. Die Familie sollte sich auch darüber einig sein, ihrem kranken Kind mit dieser Methode helfen zu wollen. Ist ein Partner dafür und der andere dagegen, wird FBT nahezu unmöglich. Alleinerziehend dagegen, ist kein Hinderungsgrund.

Auch nicht gesundheitlich notwendige Diäten, vegane oder vegetarische und damit restriktive Ernährung ist ein NoGo im Genesungsprozess eines Kindes mit AN. Eine restriktive Essstörung heilt nicht mit restriktiven Ernährungsregeln, denn die sind der Kern der Anorexie. Wer nicht von vegan, vegetarisch oder sonstigen Ernährungsvorgaben abweichen will oder kann, der macht es seinem kranken Familienmitglied nahezu unmöglich, vollständig zu heilen. Egal ob innerhalb des FBT oder anderweitig.

Wer für diese Methode in Frage kommt und geduldig, konstant und konsequent sein krankes Familienmitglied dem Essen und dem Leben exponiert, hat sehr gute Chancen auf Heilung. FBT ist momentan die einzige, evidenzbasierte Therapieform mit nachweislichen Erfolgen.

Die Mandometer- Methode

Die Mandometer- Methode wurde in Schweden entwickelt, von der klinischen Psychologin Dr. Cecilia Bergh. Es gibt insgesamt sechs Kliniken in Schweden, San Diego, Australien und den Niederlanden, die diese Therapie anbieten. Es können sich auch Patienten bewerben, die nicht in diesen Ländern leben, für die meisten von ihnen wird diese Therapie vermutlich nicht von den Krankenkassen bezahlt.

Auch die Mandometer- Methode folgt dem Grundgedanken der Genetik und des Energiedefizites als Auslöser der Erkrankung, und der Psychodynamik als Folge der Angst- vermeidenden Verhaltensweisen. Diese Therapie basiert auf einem Biofeedback Gerät, das den Patienten mittels Rückmeldung ihrer Vitalparameter und ihrer Essgeschwindigkeit wieder ein normales Essverhalten beibringen soll. Es wird davon ausgegangen, dass mit Normalisierung des Essverhaltens die Hunger- und Sättigungsgefühle wieder erwachen und Symptome wie Angst und Depressionen verschwinden. Ergänzend wird mit Sportpause, Wärmetherapie, Gesprächstherapie, Gruppentherapie, Sozialtherapie und Mindfulness Techniken gearbeitet. Diese Therapiemethode hat sich in Studien ebenfalls als erfolgreich bewährt. Letztendlich werden auch hier die anfangs genannten fünf Säulen exponiert und damit die Ängste gelöscht, nur eben mithilfe eines Geräts. Die Patienten können dies auch nach der stationären Phase, kombiniert mit einer App, zu Hause weiterverwenden, wenn sie es brauchen. Ziel ist es jedoch, im Laufe der Zeit vom Mandometer unabhängig essen zu lernen. Alles andere wäre keine vollständige Heilung. Nach offiziellem Therapieende werden Betroffene noch fünf Jahre lang begleitet.

Psychosomatische Kliniken

„Psycho“ vor „Soma“ ist dort das Therapieprinzip. In den psychosomatischen Kliniken in Deutschland wird in erster Linie die Psyche therapiert, da diese als Auslöser für körperliche oder sonstige Beschwerden betrachtet wird. Es herrscht hier das althergebrachte und fatalerweise offensichtlich unverrückbare Leitbild, Anorexie sei eine psychische Erkrankung, deren mentale Ursache beseitigt werden müsse, damit die Patienten wieder essen. Das mag für andere Erkrankungen zutreffen, doch die Ursache einer Anorexie ist das Energiedefizit, nicht die Kultur, die Mama oder der blöde Spruch der Mitschülerin. Die Genetik ist der Ursprung, die psychische Verwundbarkeit, der Magen-Darm-Infekt und anderes sind lediglich Auslöser, die Betroffene dazu bewegen, zu wenig zu essen. Kein Energiedefizit (nicht nur kalorisch sondern auch in Mikro- und Makronährstoffen), keine AN, auch nicht bei genetischer Prädisposition. Das wird in diesen Kliniken immer noch nicht verstanden und deshalb der Fokus weggelenkt vom wichtigsten aller Heilungsschritte: Der ausreichenden Wiederernährung und der Löschung aller Glaubenssätze rund um Ernährung und Körperbild. Es gibt zwar Gestalttherapie, Kunsttherapie, Körpertherapie, Gesprächstherapie, Gruppentherapie, Ernährungstherapien und Essenspläne, doch was nutzt das, wenn die Kalorien genauso zu niedrig angesetzt werden, wie das Zielgewicht als Voraussetzung für die Entlassung. Wenn die Anorexie zudem Mitspracherecht bekommt bei der Auswahl der Lebensmittel, wie soll sie da verschwinden? Ganz zu schweigen davon, dass psychosomatische Kliniken auf die Motivation ihrer Patienten setzen. Anorexie ist jedoch die einzige Erkrankung, von der Betroffene sehr lange nicht heilen wollen, da sich das, was sie tun, richtig anfühlt und Recovery ihre allerschlimmsten Ängste wahr werden lässt: Wer heilen will, muss alles essen und Gewicht zunehmen und allein der Gedanke kommt einer Todesangst gleich. Wer sich diesen unvorstellbaren Ängsten nicht stellt, der wird nicht gesund. Doch genau dabei wird den Patienten in psychosomatischen Kliniken nicht geholfen.

Auch hier wieder: Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner.

Es ist es vollkommen kontraproduktiv, mit restriktiven, die Kontrolle der AN fördernden Ernährungsplänen und zu niedrigem Gewicht zu arbeiten und auf Heilung zu hoffen. Wer in einer psychosomatischen Klinik gesund wird, hat Glück gehabt, hat aber seine Erkrankung vermutlich nicht verstanden. Das macht das Rückfallrisiko zu einem Damoklesschwert.

Gesprächstherapie:

Gesprächstherapie ist im Grund jede Form von Therapie, bei der mittels Gesprächen Denkmuster hinterfragt werden und über die Beziehung zum Therapeuten Persönlichkeitsentwicklung passieren soll.

Bei Anorexie ist Gesprächstherapie nur dann sinnvoll, wenn die Therapeuten genau wissen, wie sich das Krankheitsbild darstellt, wann sie es mit der anorektischen Seite des Patienten zu tun haben und wann mit der Gesunden und wie sie das gesunde Selbst vom kranken Selbst trennen können. Dafür braucht man sehr viel Wissen und entweder eigene Erfahrungen oder eine fundierte Ausbildung, die hierzulande scheinbar nicht angeboten wird. Auch diese Therapieform ist nur dann sinnvoll, wenn die Patienten ein Mindestmaß an Mitwirkungsbereitschaft zeigen.

 

Eine Form der Gesprächstherapie ist die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT).

Sie gilt als Goldstandard der Essstörungstherapien. Die kognitive (das Denken betreffende) Verhaltenstherapie geht davon aus, dass Verhalten gelernt ist und entsprechend verlernt oder umgelernt werden kann. Denkmuster, die ungewollte Verhaltensmuster etablieren und fördern, werden hinterfragt und sollen aufgelöst werden, um gesundheitsförderliche Verhaltensweisen etablieren zu können.

Zusätzlich zur Expositionstherapie bewährt sich diese Methode, sofern die Therapeuten das Bio-Psycho-Soziale Modell der Anorexie gelernt und verstanden haben. Anderenfalls kann auch KVT dazu führen, dass ungewollt das anorektische Selbst gestärkt und das gesunde geschwächt wird.

Eine weitere Form der Verhaltenstherapie ist die Dialektisch behaviorale Therapie (DBT), die insbesondere bei Patienten mit Emotionsregulationsstörungen (Borderline- Persönlichkeitsstörung) erfolgreich angewendet wird. Zusätzlich zu Elementen der KVT und der Acceptance und Commitment Therapie wird auch hier mit Mindfulness- Techniken nach Kabat Zinn gearbeitet.

 

Acceptance und Commitment Therapie (ACT):

ACT wurde entwickelt von Steven Hayes, einem amerikanischen Psychologen.

ACT geht davon aus, dass Weiterentwicklung und Veränderung der Persönlichkeit und Beseitigung von Störungen vornehmlich über Akzeptanz passieren muss, insbesondere Akzeptanz dessen, was man nicht haben oder spüren will. Mindfulness Techniken helfen, das Verhalten gemäß der eigenen Werte auszurichten und psychische Flexibilität zu erreichen.

ACT beruht auf den Säulen:

Defusion (lediglich Wahrnehmen der Gedanken und Gefühle, ohne darauf zu reagieren)

Akzeptanz ohne den Impuls, sofort zu reagieren (bei schwierigen Gefühlen und Gedanken)

Dem beobachtenden Selbst

Dem Bleiben im Moment

Und letztendlich der absoluten Verpflichtung zur Handlung, die zur Veränderung notwendig ist.

ACT ist eine Therapieform, die vor allem von Essstörungscoaches und geschulten Therapeuten angewendet wird und begleitend zur Expositionstherapie sehr erfolgreich ist.

 

Weitere Therapieformen, die bei Essstörungen helfen können, sind:

Kunsttherapie

Hier können Patienten durch künstlerisches Wirken (Malen) ihren Gefühlen und Gedanken Ausdruck verleihen und ihre Erkenntnisse dann mit den Therapeuten aufarbeiten.

 

Körpertherapie

Unter Körpertherapie fallen im Grunde alle Methoden, die mit dem Körper arbeiten (Rolfing, Feldenkrais, Energetik, Yoga etc.)

Menschen mit Anorexie haben häufig ein gestörtes Körperbild. Gleichzeitig sind sie vor allem in der noch aktiven Phase ihrer Erkrankung sehr anfällig bezüglich körperbezogener Bemerkungen oder Berührungen. Es sind deshalb Methoden vorzuziehen, bei denen nicht viel geredet werden muss und bei denen die Patienten nicht berührt werden müssen, wie z.B. Yoga oder progressive Muskelentspannung.

 

Eating Disorder Recovery Coaching

Eating Disorder Recovery Coaching ist auch entstanden aus der Erkenntnis:

Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner.

Die Anfänge machten ehemals Betroffene, die Ihren Mitschwestern helfen wollten und sie mit eigenen Erfahrungen begleiteten auf ihrem Weg.

Carolyn Costin, eine der führenden, ehemals selbst betroffenen Therapeutinnen, gründete vor einigen Jahren das CCI Institut, um Ehemaligen, die sich als Coach etablieren wollen, eine fundierte (aber sehr teure) Ausbildung anzubieten. Andere ehemals Betroffene haben Life Coaching oder Eating- Psychology-Coaching Ausbildungen und sind damit in der Regel sehr erfolgreich. Eating Disorder Recovery Coaching soll eigentlich dazu dienen, das, was in den Therapien besprochen wird, mit den Patienten umzusetzen. Tatsächlich ist es mangels qualifizierter Therapeuten eine eigene Bewegung geworden, die je nach Herkunftsland und Essstörungsverständnis mehr oder weniger Gutes bewirkt. Wie oben bereits beschrieben, gehen viele deutschsprachige Coaches davon aus, sie seien psychisch therapiert worden, haben ihre Muster verstanden und aufgelöst und seien deshalb gesund geworden. Das führt dazu, dass sie werben mit Aufarbeitung psychologischer Blockaden und Methoden zur Selbst- und Körperliebe. Was aber, wenn ein Mensch mit AN nur seinen dünnen Körper liebt? Wer Recovery Coaching wählt als Weg aus der Anorexie, der sollte sehr genau hinschauen und hinterfragen, welche Haltung der Coach hat gegenüber der Erkrankung und bezogen auf das, was gesund macht.

 

Wann ist man „recovered“, also geheilt?

Therapie zu Ende, Anorexie weg?

Nein, so einfach ist es nicht.

Es gibt unterschiedliche Definitionen von Heilung. Letztendlich spürt es jeder Betroffene selbst, wann der Zustand des „recovered“ eingetreten ist. Es ist wichtig zu wissen, dass man Anorexie weg-üben muss. Durch unzählige sogenannte „opposite actions“, dadurch, dass man wieder und wieder nicht reagiert auf die Stimme der AN und/oder das Gegenteil von dem tut, was sie sagt, wird man gesund.

Man darf der „Tendenz zu zu wenig“ nicht folgen. Man muss rausgehen ist Leben, sich mit anderen verbinden und natürlich immer genug und von Allem essen. Irgendwann spürt man, wie es leichter und leichter wird, wie die Stimme leiser und leiser wird. Die eigene Krankheit zu verstehen, ist die wichtigste Rückfallprofilaxe. Therapie kann begleitend helfen, aber Recovery ist ein aktiver Prozess, zu dem sich Betroffene selbst verpflichten müssen und den sie aktiv gehen müssen, jeden Tag auf´s Neue.

Zusammenfassend können wir sagen, so ähnlich die Krankheitsverläufe sind, so unterschiedlich sind die Menschen. Was einem hilft, muss nicht gleichermaßen allen helfen. Und ob eine Therapiemethode erfolgreich ist oder nicht, hängt wesentlich vom Krankheitsverständnis der Therapeuten ab und von deren möglichst langjähriger und/oder eigener Erfahrung.

„Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner“, ist immer noch besser als ein therapeutischer Ansatz, der die Anorexie füttert und nicht den gesunden Menschen unter ihr.

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